Das Fragment zeigt eine stehende, von den Knöcheln aufwärts erhaltene Trauernde, die aus einem größeren szenischen Zusammenhang herausgebrochen wurde. Ihr Haupt ist nach rechts geneigt und liegt in der linken Hand, wodurch die rechte Schulter stark erhöht ist; der linke Unterarm wird wiederum von der Rechten gestützt. Verstärkt wird diese sofort erkennbare Gestik seelischen Leidens durch die Gestaltung des Mantels: Er wird von dem eng an den Körper gelegten und steil angewinkelten linken Arm mehr zusammengedrückt als gerafft, und das sich um die Hand legende und dabei die Innenseite nach außen kehrende Ende deutet ringende Verzweiflung an.
Der auffällige glatte Streifen neben dem linken Knie passt gut zu einer Szene der drei Frauen am Grabe und hätte als Teil des Sarkophags bzw. des zur Seite geräumten Deckels interpretiert werden können, wenn nicht der Dargestellten das obligatorische Salbgefäß fehlte. Denkbar wäre, dass es der Rest des Kreuzbalkens selbst ist, Maria also seitlich und nicht unterhalb des Kreuzes gestanden und auf ihren Sohn herabgeschaut hätte, was mit dem stark gesenkten Haupt korrespondieren würde. Möglich ist auch, dass es sich um den Rest eines kleinen Sockels handelt, auf dem Nikodemus oder Joseph von Arimathia standen, um den Leib des Herrn vom Kreuz abzunehmen.
Es könnte sich bei der Figur um den Teil eines Tympanons gehandelt haben, allerdings sind Kreuzigungsdarstellungen um 1150 sehr selten und mit wenigen Ausnahmen nur aus Südostfrankreich und dem nördlich anschließenden Rhône-Tal bekannt.
(Auszug aus: Tobias Kunz, Bildwerke nördlich der Alpen. 1050 bis 1380. Kritischer Bestandskatalog der Berliner Skulpturensammlung, Petersberg, Michael Imhof Verlag 2014)
Entstehungsort stilistisch: Rhône-Tal
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