Als der damals in Weimar tätige Maler Otto Edmund Günther 1874 auf der Berliner Akademieausstellung das Genrebild »Der Witwer« zeigte, zählte es der Rezensent der »Dioskuren« zu den wenigen geglückten ernsten Genredarstellungen der ganzen Ausstellung. Das »mit meisterhafter Feinheit charakterisierte« Bild, sei aber gleichzeitig ein harte Probe für das Gefühlsleben des Betrachters, ließe es doch für den problematisierten Schmerz des jungen, gerade vom Begräbnis seiner Ehefrau zurückgekehrten Witwers, dem die alte Mutter wie zum Trost den Säugling entgegenhält, keine Lösung erkennen. Im Gegensatz zur Dichtung, bei der die Trauer endlich wäre, würde sie im Gemälde durch die Darstellung des Augenblicks größten Schmerzes ins Unendliche gesteigert und dadurch für den Betrachter fast »unerträglich«. »Der Witwer« sei daher ein gleichsam »grausames« Bild, das aber »mit bemerkenswerther Feinheit und Solidität gemalt und überhaupt als eins der besten Bilder der Ausstellung zu bezeichnen [sei]; namentlich ist auch die Farbe ernst, kräftig und harmonisch« (alle Zitate aus: Dioskuren, 19. Jg., 1874, H. 44, S. 355).
Bilder, die Schmerz und Trauer thematisierten, gehörten bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein zum festen Kanon der Genremalerei. Im Bestand der Nationalgalerie finden sich unter anderem Beispiele von Wilhelm Clemens (1886, Inv.-Nr. A I 383), Pietro Fragiacomo (1895, Inv.-Nr. A I 570) oder Konrad Dielitz (1904, Inv.-Nr. A I 841). | Regina Freyberger
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