Wie die Arbeit »Der Witwer« (Nationalgalerie, Inv.-Nr. A I 106) zählt auch die Komposition »Im Gefängnis« zu den naturalistischen Milieuschilderungen des Genremalers Otto Günther, der seine künstlerische Ausbildung und Prägung an der Düsseldorfer Akademie erhalten hatte. War dort der Schmerz des untröstlichen Witwers das eigentliche Bildthema, so schildert Günther hier die Zerknirschung einer jungen Frau, die im Gefängnis trotz geistlichen Zuspruchs offenbar keinen Seelenfrieden findet. Hinweise auf das eigentliche Verbrechen enthält das Bild nicht; die Schuldfrage bleibt trotz aller Assoziationen an Goethes Gretchentragödie Nebensache.
Das Thema der Sünderin hat Günther mehrfach beschäftigt. Friedrich Boetticher führt in »Malerwerke des neunzehnten Jahrhunderts« (Bd. 1/1, Dresden 1891, S. 456, Nr. 33) eine Studie des Bildes auf; eine weitere Version wurde am 10. Mai 1881 bei Lepkes Berliner Kunstauktion unter dem Titel »Ein Geistlicher bei der Verbrecherin im Gefängnis« gehandelt (vgl. ebd., Nr. 32). | Regina Freyberger
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