Osman Hamdy Bey ist für die Herausbildung der türkischen Archäologie und Museumslandschaft von kaum zu überschätzender Bedeutung – weit mehr als für die türkische Malerei, zumal er als Künstler französisch geprägt war und seine Werke nach 1882 auch nicht mehr in der Türkei zur Ausstellung brachte. Heute jedoch ist er der berühmteste türkische Maler seiner Zeit. Die »Türkische Straßenszene« zeigt die bestechenden Ingredienzien seiner Kunst: Vor einer Nische eines bekannten historischen Brunnengebäudes in Konstantinopel, um welches solcher Handel betrieben wurde, bieten zwei Männer einem Touristenpaar mit Tochter einige Teppiche an, während ein Dritter dicht hinter der Frau steht und diese zu beraten scheint. Das delikat und feinmalerisch ausgeführte Bild offenbart sich dabei als andeutungsreiche Collage, die zugleich auch gängige Vorstellungen bediente. Während die Händler historisierende Kostüme tragen, erscheint der potentielle Käufer mit seinem Tropenhelm und seinem ahnungslosen Blick gleichsam als Klischee des Orientreisenden. Für die Darstellung der gleichfalls feilgebotenen Antiquitäten, darunter eine imposante Vase, verwendete Osman Hamdy Bey Objekte aus seinem Besitz, die in vielen seiner Gemälde wiederzufinden sind.
Wie die Ankäufe auch anderer Werke von Osman Hamdy Bey durch mehrere europäische Museen (so auch die des »Wunderbrunnens«, gleichfalls Nationalgalerie, Inv.-Nr. A II 842) erfolgte die Erwerbung der »Türkischen Straßenszene« offenbar nicht nur mit dem Wunsch, den Maler zu ehren, sondern diesen zugleich für Grabungs- und Ausfuhrlizenzen gnädig zu stimmen. Denn als Archäologe und Begründer des ersten türkischen Kulturgüterschutzgesetzes oblagen dem Künstler derartige Genehmigungen. So wurde der Kauf des Gemäldes vom Ausgräber des Pergamonaltares Carl Humann (1839–1896) vorbereitet, der mit dem Maler befreundet war und möglicherweise in dem behelmten, sitzenden Mann porträthaft dargestellt ist. | Philipp Demandt
de