Cézanne ist um die Dreißig, als er Bilder von einer ungebärdigen, ungelenken Heftigkeit und Impulsivität malt, anarchistische Proteste gegen die eingeführte Kultur der Schönheit: erotische Szenen, deren Drastik ins Parodistische umschlägt, Stilleben aus Gegenständen von provozierender Schlichtheit. Das Berliner Bild zeigt Bauerngeschirr auf einem Leinentuch, dessen nachlässig gelüpfte Ecke statt eines Tisches eine genagelte Kiste enthüllt. Schwarze Konturen unterstreichen auf die einfachste mögliche Weise die schwere Materialität der Gegenstände; sie rechtfertigen auch die tiefe, unheilverkündende Schwärze der Schlagschatten, deren Verhältnis zum jeweiligen Ursprung nicht immer schlüssig erscheint: Das Licht scheint aus unterschiedlicher Richtung zu kommen, und dem großen dunklen Fleck in der Mitte fehlt jede Motivation (wie auch die hintere Begrenzung der Tischplatte in unterschiedlichen Höhen verläuft).
Das Bauernstilleben hat in Frankreich eine Tradition, die über François Bonvin und Théodule Ribot auf die Spanier des 17. Jahrhunderts zurückverweist; auch Cézannes zeitweilige Bevorzugung der Farbe Schwarz kann sich auf spanische Vorbilder berufen, doch unmittelbarer noch auf Manets ›spanische‹ Periode. Cézanne setzt sich allerdings mit wuchtigen Hieben seines breiten Pinsels in bewußten Gegensatz zu Manets differenzierender Malkultur. Erst auf den zweiten Blick wird bemerkbar, wie vom lebhaften Gelb und Rot der Äpfel aus eine Farbengirlande sich nach rechts und links ausbreitet – vom grünen Essigtopf bis zu dem halbverborgenen gelben Apfel hinten rechts. Auch unterscheidet sich die stumpfe Dunkelheit der Schatten deutlich von dem tiefen, durch einen Lichtreflex gehöhten der Flasche; und von hier aus werden nicht nur der blaue Zierat des Geschirrs, sondern auch das ausgedehnte Weißgrau als Farbe erlebbar. Am nächsten steht unserem Bild das »Stilleben mit grünem Topf und Zinnkanne« (Musée d’Orsay, Paris); beide Werke könnten, wie in John Rewalds Œuvrekatalog angenommen, etwas früher entstanden sein (vgl. J. Rewald, The Paintings of Paul Cézanne, New York 1996, Bd. 1, S. 117, Bd. 2, S. 47).
Noch Jahrzehnte später war das Berliner Stilleben als lose Leinwand an Cézannes Atelierwand befestigt; man erkennt es im Bildhintergrund des Gemäldes »Der Raucher« (um 1891, Eremitage, Sankt Petersburg). | Claude Keisch
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