»Eine perspektivische Gebäudeflucht, so daß der Maler nur nötig hat, sich mit den ersten im Vordergrund sitzenden Personen zu beschäftigen, die anderen dahinter werden nur angedeutet und im Andeuten ist Liebermann groß. […] Den Pinsel verachtet Liebermann. Er arbeitet nur noch mit Pinselstock, Spatel, Daumen und mit der – Maurerkelle«, tadelte Otto Brandes an dem in Paris ausgestellten Bild und erfaßte damit zugleich präzise dessen Besonderheit (in: Die Kunst für Alle, 5. Jg., 1890, H. 19, S. 294).
Das Bild des Stevenstift in Leyden, einer privaten Einrichtung für Alte und Bedürftige, steht motivisch in einer Reihe mit den Darstellungen des Waisenhauses und des Altmännerhauses in Amsterdam. Sie alle sind nach einem ähnlichen Kompositionsschema aufgebaut: Es gibt den in die Tiefe führenden Weg und eine stark fluchtende Hauswand, davor Frauen und Männer, Handarbeiten verrichtend oder Gespräche führend. Auf dem Bild »Stevenstift in Leyden« aber geht der Weg fast senkrecht in die Tiefe, nur die vorderen beiden Frauen sind daher genauer ausgeführt. Dem Zurückweichen der Hauswand entspricht das motivische und räumliche Übergewicht des Gartens, eines der Umfassungsmäuerchen führt schrägt in das Bildfeld hinein. Der Malerfreund Hancke sah hierin einen Fehler, er vermutete, Liebermann gäbe mehr wieder, »als man von einem Standpunkt aus gleichzeitig übersehen könnte. Rechts könnte ein Stück des Gartens wegfallen« (E. Hancke, Max Liebermann, Berlin 1914, S. 248).
Auf den Garten aber kam es Liebermann gerade an. An ihm vor allem erprobte er seine neue Spachteltechnik. Büsche und Bäume sind nur summarisch, als Farb- und Raumeindruck erfaßt, erst mit den späten Gartenbildern wird Liebermann wieder versuchen, der Pflanzenfülle unter Einsatz von Farbmaterie gleichsam haptisch gerecht zu werden. Auch der sich stark verjüngende Weg ist ein Meisterstück abstrakter Malerei – ›ein gutes Stück Malerei‹, hätte Liebermann gesagt. Von seinem Biographen Erich Hancke wissen wir, daß Liebermann oft die Farbe dick übereinander schichtete, teilweise wieder herunterkratzte und neu auftrug, bis er den Farbklang gefunden hatte, der ihm vorschwebte. Mitunter auch nahm er ein scharfes Schustermesser und schnitt die Farbfläche auf eine Höhe. Nur als Ergebnis solch eines langwierigen Prozesses scheint der farblich so wunderbar reiche Stiftsweg denkbar. | Angelika Wesenberg
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