Seit den 1860er Jahren rückte die realistische tonige Malerei der Haager Schule ins Interesse der deutschen Künstler. München wurde, nicht zuletzt durch die Erste Internationale Kunstausstellung 1869 im Glaspalast und die Ausstellungen der Münchner Secession, zu einem wichtigen Zentrum der Rezeption. Wie Max Liebermann, der 1872 erstmals nach Holland gereist war, zog es seit den 1880er Jahren zahlreiche deutsche Künstler nach Holland. Walter Firle hielt sich 1883 zu Studienzwecken dort auf. Die Komposition »Morgenandacht in einem holländischen Waisenhaus« entstand unmittelbar nach Firles Rückkehr und zeigt den Einfluß Jozef Israëls im gedämpften, tonigen Kolorit und der spezifischen Behandlung der Lichtverhältnisse. Da Firle in Holland kein originales Kostüm der Waisenhausmädchen zu erwerben vermocht hatte, ließ er sich ein ähnliches Kostüm nachnähen und fertigte das Gemälde nach Studien mit einheimischen Modellen im Münchner Atelier. Das stimmungsvolle Genrebild wurde 1886 bei der Jubiläumsausstellung in Berlin mit einer Goldmedaille ausgezeichnet und von der Kritik begeistert aufgenommen – zu einer Zeit, da Liebermanns spröde Ansichten noch abgelehnt wurden. Firle, so Friedrich Pecht, zeigt »uns die singenden Mädchen von einem Zauber der Jugend und Reinheit umflossen […], für den man sämtliche Odalisken und Italienerinnen der Ausstellung gerne dahin gäbe« (Die Kunst für Alle, 1. Jg., 1886, H. 22, S. 316). | Regina Freyberger
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