Am Ende des 17. Jahrhunderts entstanden in den Seidenmanufakturen Europas für eine kurze Zeit prächtige Seidengewebe mit ungewöhnlichen Mustern. Als „komisch, exzentrisch, fantastisch“ hat man sie zunächst bezeichnet, um sich dann im frühen 20. Jahrhundert auf den Terminus „bizarr“ zu einigen. Diese kostbaren Gewebe zählen zu dem Schönsten, was in europäischen Manufakturen produziert wurde und ihre enigmatischen Motive faszinieren noch heute den Betrachter.
Bizarr wirken auch die Muster dieser kräftig roten Seide mit ihren amöbenartigen Formen und gedoppelten Maiskolben. Virtuos wurden hierfür zwei unterschiedliche Metallfäden verwebt: vergoldet und glatt der eine, der andere versilbert über Friségarn und dadurch matter im Glanz. In hellblauer Seide wurde ein zartes Binnenmuster darüber gelegt, das bisweilen an Garnelenschwänze erinnert. Blatt- und Blütenranken schnellen pfeilartig aus den Formen empor, durchbohren kleine, sich verjüngende Ovale, durchschießen die nächste Frucht und neigen sich einer anderen zu. Diese seltsamen Gebilde stehen in prachtvollem Kontrast zu einem roten Grund mit gezacktem Gittermuster aus orange und rosa gestreiften Bändern. Darin finden sich kleine Ornamente, die gefassten Schmucksteinen ähneln. Stellenweise verbinden orange-rosa Bögen die parallel laufenden Bänder und verleihen dem zweidimensionalen Design eine dreidimensionale Wirkung. Kleine Rocaillen rahmen die Bänder.
1935 würdigte der Däne Vilhelm Slomanns (1885–1962), Direktor des Kopenhagener Kunstindustrimuseet von 1923 bis 1949, diese besonderen Gewebe erstmals in einer Ausstellung. Er zeigte damals elf Gewebe aus Berlin, von denen heute noch sieben erhalten sind. Auch das hier vorgestellte Gewebe zählte dazu und wurde von Slomanns zu den drei schönsten der Kopenhagener Ausstellung gerechnet. CW
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