Das Wirkereifragment gehört seit 1934 zum Bestand des Museums für Byzantinische Kunst. Seit dem Krieg gilt es als vermisst. Überliefert ist lediglich ein Archivfoto mit einer besonders interessanten, da ungewöhnlichen Darstellung der Josefsgeschichte. Das Foto zeigt den oberen Teil eines rechteckigen Tunikabesatzes. Der Beschreibung von Oskar Wulff und Wolfgang Fritz Volbach im Bestandskatalog von 1926 ist zu entnehmen, dass er vielfarbig war. Die Motive erscheinen wie bei allen hier behandelten Wirkereien mit biblischer Thematik vor dem typischen roten Hintergrund. Die Randzone setzt sich aus zwei schmalen Bahnen mit verzahnten Winkelmotiven außen und aneinander gereihten Palmetten auf hellem Grund in der Mitte zusammen.
Im linken Teil der Bildzone ist eine lagernde weibliche Gestalt in prächtiger Gewandung mit dunklem Haar und Nimbus vor einer Architektur zu sehen. Sie stützt sich auf den rechten angewinkelten Arm, den linken hält sie erhoben. Vor ihr schwebt eine nimbierte und bis auf einen Schurz und ein flatterndes Mäntelchen unbekleidete Figur mit vorgestreckten Armen nach rechts. Bei genauer Betrachtung ist unter ihren Armen noch eine kleinere, nach links orientierte Gestalt zu erkennen. In der rechten Bildhälfte reiten eine hell- und eine dunkelhäutige Gestalt auf einem Kamel nach rechts davon. Über dem Kopf des Kamels und unter seinen Vorderhufen sind Fische abgebildet. Kleine Blätter und Ranken sind als Füllmotive auf dem gesamten Hintergrund verteilt.
Bei der Gestalt links im Bild handelt es sich um Potiphars Frau, die Josef verführen will (Gen 39, 11-12). Sie liegt ausgestreckt auf ihrem Ruhebett und versucht, den fliehenden Josef zurückzuhalten, indem sie nach seinem Mantelzipfel greift. Insgesamt ähnelt die Darstellung dieser Szene einer der Miniaturen in der Wiener Genesis (fol I6r). Ungewöhnlich ist, dass Josef bis auf ein umgehängtes, im Rücken flatterndes Manteltuch nackt ist. Diese Darstellung erinnert an Eroten, die auf diese Weise häufig auf Textilien, u. a. mit Meeresszenerien, abgebildet sind. Wahrscheinlich sind verschiedene Bildvorlagen vermischt worden. Hierfür sprechen auch die Fische in der rechten Bildhälfte.
Anders als üblich sind auch die Reiter rechts im Bild wiedergegeben. Josef sitzt nicht Rücken an Rücken mit dem Ismaeliter, sondern blickt hier in die gleiche Richtung und schlingt sogar vertraulich seine Arme um die Brust des Vordermannes.
Die auf diesem Besatzfragment abgebildete Verführungsszene kommt im Traumzyklus nicht vor. Sie gehört zu dem in Ägypten handelnden Teil der Geschichte, der mit Josefs Reise nach Ägypten beginnt, was auf dem Besatz rechts angedeutet ist. Darstellungen vom zweiten Teil der Josefslegende sind auf den Wirkereien deutlich seltener belegt. In diesem Zusammenhang sind einige große Orbiculi aus Sammlungen in Boston, Lyon, Manchester und Riggisberg zu nennen. Sie zeigen als Symbol für den Aufbruch Josefs nach Ägypten ein zentrales Reitermotiv, um das Szenen der Josefsgeschichte angeordnet sind, die sich überwiegend in Ägypten ereignen. Die Verführungsszene ist allerdings nicht darunter. Sie ist wiederum auf einem Ärmelbesatz in Basel bezeugt. Neben dem Traumzyklus muss es also eine zweite Bildvorlage für die Josefswirkereien gegeben haben.
Literatur: C. Fluck, Ein buntes Kleid für Josef, Berlin 2008, S. 24-26, Nr. 6
(Cäcilia Fluck 2008)
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