Auf unregelmäßiger Standfläche (eckige Plinthe neu) steht eine trauernde Frau, vielleicht Magdalena, in der linken Hand ein Salbgefäß, mit der rechten sanft den Schleier vom Haupt streichend. Trotz ausschwingender rechter Hüfte und trauerndem Gesamtgestus erscheint die Haltung stabil und aufrecht, da der deutliche S-Schwung vom nach links geneigten Haupt aufgenommen wird und die gesamte Figur überaus kompakt wirkt. Mit Ausnahme des Salbgefäßdeckels hat es keine Anstückungen gegeben. Die Arme sind an den Körper gepresst – ein seit dem 12. Jahrhundert geläufiges Trauermotiv –, und die sonst oft zur Beunruhigung des Statuarischen beitragende Stellung der Beine wird durch den Mantelstoff, unter dem sich das linke Knie nur schwach abzeichnet, weitgehend verborgen.
Die Detailbehandlung ist vergleichsweise fein, umso bedauerlicher daher die gänzliche Entfernung der in der Sammlung Harsch noch vorhandenen späteren Fassung vermutlich im Kaiser-Friedrich-Museum, unter der mögliche Reste originaler Fassung ebenfalls verloren gingen. Das Haar liegt in lebendigen, keineswegs schematischen Wellenlinien, die in einem motivischen Zusammenhang stehen zu den markanten Schmerzfalten auf der Stirn in Verlängerung der Brauen. Der Schleier hat einen schmal plissierten Rand. Besonders fein wirken die sich unter dem Gewand abzeichnenden Hände.
Die Ikonografie legt nahe, dass die trauernde Frau mit Salbgefäß zu einer Heilig-Grab-Gruppe gehörte, wie sie seit dem 12. Jahrhundert und besonders im Spätmittelalter in plastischer Form im Abendland verbreitet war. Solche vielfigurige Gruppen, die neben dem Leichnam Christi die drei Frauen und den Engel umfassten, konnten unmittelbar in die Osterliturgie einbezogen werden. Es scheint sowohl fest installierte als auch mobile Gruppen gegeben zu haben, die lediglich zu Ostern aufgestellt wurden. Die Berliner Frau mit Salbgefäß dürfte Teil eines Ensembles gewesen sein, das vor einer hölzernen Rückwand gestanden hat – also kaum zu einer transportablen Gruppe.
(Auszug aus: Tobias Kunz, Bildwerke nördlich der Alpen und im Alpenraum 1380 bis 1440. Kritischer Bestandskatalog der Berliner Skulpturensammlung, Petersberg, Michael Imhof Verlag 2019)
Angaben zur Herkunft:
um 1420/30
Entstehungsort stilistisch: Ulm oder Neckarschwaben (Umkreis Meister Hartmann)
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