Der Kelch aus Heinersdorf (heute Ortsteil von Steinhöfel, Landkreis Oder-Spree, Brandenburg) entspricht dem in Mitteleuropa am Ende des 15. Jahrhunderts weit verbreiteten Grundtypus dieses Abendmahlsgerätes mit sechspassigem Fuß, sechsseitigem Schaft, der als Handhabe einen Knauf (Nodus) mit sechs rautenförmigen Zapfen (Rotuli) besitzt, und einer relativ kleinen, trichterförmig gestrafften Kelchschale (Kuppa), die von einem ornamental gestalteten Kelchkorb unterfangen wird. Auf dem Fuß befinden sich eine kleine plastische Kreuzigungsgruppe sowie die gravierten Halbfiguren des hl. Jakobus mit Pilgerstab und Hut, der hl. Barbara mit Turm und Schwert, der Muttergottes, der hl. Katharina mit Rad und Schwert und des hl. Bartholomäus mit dem Messer. Am Schaft erscheinen in Silber, wohl aus derselben Form gegossene, zwölf miniaturhaft kleine Statuetten der Apostel, je sechs unter- und oberhalb des Nodus. Dabei handelt es sich, im Gegensatz zu den Darstellungen auf dem Kelchfuß, um eine relativ seltene Form der figürlichen Gestaltung an einem Messkelch.
Für den Abendmahlskelch einer märkischen Dorfkirche ebenfalls ungewöhnlich ist der künstlerisch sehr qualitätvolle Dekor mit mehrfarbigen Schmelzen in der aufwändigen Technik des so genannten ungarischen Drahtemails. Bei dieser im 14. Jahrhundert in Italien entwickelten, später in Ungarn zu besonderer Blüte gebrachten und im ausgehenden 15. Jahrhundert auch im östlichen Mitteleuropa verbreiteten Schmelztechnik werden die Zellen für die Aufnahme des Emails durch aufgelötete tordierte Silberdrähte gebildet. Nach dem Brand werden die Schmelzen nicht geschliffen, so dass die gedrehten Drähte leicht erhaben als Dekor an den Rändern der emaillierten Felder erscheinen. LL
Entstehungsort stilistisch: Ermland
Historischer Standort: Heinersdorf (Brandenburg), Dorfkirche
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