Als Goya sich erstmals der noch relativ neuen lithographischen Technik zuwandte, war er bereits 73 Jahre alt. Unter den 18 Blättern, die er in diesem Verfahren - verteilt über wenige Jahre - geschaffen hat, sind mehrere Hauptwerke seiner Spätzeit. Diese gehören zu den Höhepunkten der Künstlerlithographie im 19. Jahrhundert. Sofort nach der Einführung des Steindruckverfahrens in Spanien und der Gründung des »Establecimiento Lithografico« in Madrid gegen Ende 1818 bzw. Anfang 1819 beginnen Goyas lithographische Versuche. Leiter der ersten spanischen Lithographenanstalt war der mit ihm befreundete Lithograph und Kartograph J. M. Cardano, der vermutlich alle seine frühen Lithographien gedruckt hat. Bei ihm muß der Künstler auch das Umdruckverfahren gesehen haben, dessen er sich während seiner Anfänge bediente.
»Fuerza de amor« wird meistens den noch in Madrid entstandenen Arbeiten von 1819 zugerechnet. Sie existieren jeweils lediglich in wenigen Exemplaren oder als Unika. Mehrere dieser frühen Blätter sind (wie auch unser Beispiel) im Umdruckverfahren hergestellt. Darunter gibt es eine mit »Espresivo doble fuerza« (Ausdruck doppelter Kraft) betitelte Variante zu unserem »Liebespaar«. Auch hiervon haben sich nur zwei Abzüge erhalten, die beide aufgrund drucktechnischer Mängel von Hand retuschiert sind. Wegen ihres stark experimentellen Charakters sind die Madrider Lithographien verständlicherweise technisch noch nicht so ausgereift wie die späteren Meisterblätter aus Bordeaux. Eine Ausnahme bildet - falls unsere frühe Datierung zutrifft - »Fuerza de amor«, ein Blatt, das schon 1905 bei der Vorstellung der neuesten Goya-Erwerbungen des Berliner Kupferstichkabinetts aus der Slg. Madrazo als die »geistreichste« unter den frühen Lithographien charakterisiert wurde. Durch die Leichtigkeit der an- und abschwellenden Umrisse und breite mit dem Pinsel hingesetzte Tonlagen in den Schattenpartien gelingt es hier, die erotische Komponente von ungezügelter Sexualität und Gewalt optisch zu fixieren.
Text: Sigrid Achenbach in: Das Berliner Kupferstichkabinett. Ein Handbuch zur Sammlung, hg. von Alexander Dückers, 2. Auflage, Berlin 1994, S. 346, Kat. VI.49 (mit weiterer Literatur)
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