Geßner, der schwierige Sohn eines Zürcher Buchhändlers, wurde von seinem Vater 1749 nach Berlin in die Buchhändlerlehre gegeben. Aber auch hier zeigte er sich wenig anstellig, sondern zeichnete, malte und dichtete, ermutigt von dem fünf Jahre älteren Odendichter K.W. Ramler, der großen Einfluß auf ihn hatte und ihm abriet, seine Gedanken in Verse zu kleiden.
E.Ch. v. Kleists Dichtung »Der Frühling«, das erste große Naturgedicht der Spätaufklärung, erschien 1749 und machte ihren, mit J.W.L. Gleim befreundeten Dichter auch bekannt mit Ramler und Geßner. Geßner suchte außerdem die Freundschaft des in Hamburg lebenden anakreontischen Dichters F. v. Hagedorn, dem er sich geistesverwandt fühlte, ehe er 1750 nach Zürich zurückkehrte. 1756 erschienen dort seine in rhythmischer Prosa verfaßten Idyllen und machten ihn schlagartig berühmt. Zu seinen Bewunderern zählten auch J.-J. Rousseau und D. Diderot. Er wurde als Begründer der deutschen Hirtendichtung gefeiert, als "deutscher Theokrit". Die Idyllen waren die ersten Prosagedichte der Weltliteratur, eine Form, die im 19. Jh. Baudelaire und Rimbaud mit Erfolg aufgriffen. Des Dichters Haus in Zürich wurde Reiseziel literarisch Gebildeter. 1772 erschien Geßners zweite Idyllensammlung. Der Dichter schmückte seine Werke mit selbst radierten Illustrationen. Als Landschaftsmaler war er um anmutige Nachahmung der Natur bemüht. Ab 1770 komponierte er »Paradiesische Landschaften«, die seinem Ideal eines menschlichen Lebens in und mit der Natur entsprachen als Gouachen.
Auf unserem Blatt preist er das Leben in einem Alpental, wo Fischfang und Bienenzucht die natürliche Lebensgrundlage bilden, wo das Gemüse im eigenen Garten gedeiht und gesunde Kühe am Ufer des Baches weiden. Wie die strohgedeckten Häuser erkennen lassen, handelt es sich um keine reale Landschaft, sondern um ein Phantasieprodukt.
Text: Renate Kroll in: Das Berliner Kupferstichkabinett. Ein Handbuch zur Sammlung, hg. von Alexander Dückers, 2. Auflage, Berlin 1994, S. 154f., Kat. III.89 (mit weiterer Literatur)
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