Julius Meier-Graefe ordnet das Blatt zu »Neue Idyllen«, zusammen mit acht weiteren Zeichnungen (Meier-Graefe Nrn. 862–868; im Sommer 1874 etwa waren in Neapel und Ischia schon einmal »Idyllen« benannte Zeichnungen entstanden, vgl. Kat. Marees 1987 S. 131f.). in Motiv und Details hängen sie unter sich als auch mit der »Werbung«, den »Singenden Mädchen« sowie der »Huldigung« zusammen. Marees arbeitete fast gleichzeitig an ihnen. »Die Werbung« war sein viertes und letztes Triptychon (1884–87, München, Neue Pinakothek); in ihm wie im Pastellgemälde »Singende Mädchen« (1885, München, Neue Pinakothek) findet sich die gleiche Formensprache unseres Blattes, die nicht den einzelnen Gestus, sondern diesen erst im Zusammenklang mit allen Bewegungen zu einem harmonischen Akkord gestaltet. Nach schwerer seelischer Krankheit 1874, hat Marees bis zu seinem Tod an architektonisch bestimmten großen Bildzyklen fortgemalt. Nur einmal, 1873, hatte sich seine Sehnsucht nach monumentaler, raumgebundener Malerei erfüllt in der Ausmalung des Bibliothekssaals der Zoologischen Station in Neapel, einem Höhepunkt europäischer Wandmalerei des 19. Jahrhunderts. Weitere Aufträge blieben aus, und nur die Unterstützung seines Freundes Konrad Fiedler, der in seinen Schriften auch Marees klassisch-idealistisch orientierte Kunstauffassung erläuterte, ermöglichten ihm die Existenz in Italien, wo er zeitlebens blieb. Die Zeichnung war ihm stets nur Vorbereitung, Probiermaterial, von dem er vieles selbst vernichtete. In dem noch vorhandenen spürt man die immerwährend strömende Leichtigkeit der Erfindung, die frei ist von jedem Ballast programmatischer Rücksichten oder gedanklicher Mühen.
Text: Marie Ursula Riemann-Reyher in: Das Berliner Kupferstichkabinett. Ein Handbuch zur Sammlung, hg. von Alexander Dückers, 2. Auflage, Berlin 1994, S. 397f., Kat. VII.48 (mit weiterer Literatur)
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