Von Geburt Spanier, lebte Ribera seit seinem 19. Lebensjahr in Italien und kehrte später nur noch besuchsweise in seine Heimat zurück. Der wesentliche Teil seines Künstlerlebens verbindet sich mit Neapel, wo er die längste Zeit zubrachte, die Kunst Caravaggios in sich aufnahm und seinerseits einen eminent wichtigen Einfluß auf die italienische Kunst ausübte. Trotzdem hat Ribera – wahrscheinlich nicht nur aus rein äußerlichen Gründen – seinen spanischen Ursprung immer betont, indem er seine Werke gewöhnlich »Josephus Ribera Hispanus« oder »Jusepe de Ribera espanol« signierte. Da Ribera für Spanien und Italien eine große Rolle spielte und seine Kunst eine Synthese aus spanischen und italienischen Elementen darstellt, läßt sich sein Werk weder der einen noch der anderen Seite eindeutig zuordnen. Auf diese Weise beanspruchen beide Länder – jeweils mit guten Argumenten – Ribera als einen der ihren.
Früher war diese Zeichnung Bartolommeo Biscaino zugeschrieben, einem Genueser Maler und Radierer (um 1632–1657). Ihre Identifizierung als Spätwerk Riberas ist Vitzthum zu verdanken. Nach Brown handelt es sich möglicherweise um die späteste der vom Künstler bisher bekannt gewordenen Zeichnungen. Trotz ihres spätwerkhaften Charakters, der sich am deutlichsten an der brüchigen Faktur sowie den zittrigen Umrissen zeigt, steckt hinter der von Pinsellavierung zusammengehaltenen Skizze noch immer eine deutlich fühlbare, ganz ungewöhnliche zeichnerische Kraft, die vor allem Riberas Federzeichnungen kennzeichnet. Am rechten Rand vermischt sich die Zeichnung mit Relikten einer frühzeitig abgebrochenen ersten Fassung, die durchgekritzelt sind. Deutlich sichtbar ist eine Marienfigur mit gesenktem Kopf, die – anders als in der Hauptszene – aufrecht steht und das Kind im Arm hält.
Das Medium Zeichnung spielt im Werk Riberas eine große Rolle. Auch seine Wirkung auf die neapolitanische Barockkunst vollzog sich wesentlich über diese Ausdrucksform. Von Vitzthum stammt die treffende Formulierung, Ribera habe in der Entwicklung der neapolitanischen Zeichenkunst dieselbe Schlüsselposition inne, wie Caravaggio sie für die Malerei beanspruchen dürfe.
Text: Sigrid Achenbach in: Das Berliner Kupferstichkabinett. Ein Handbuch zur Sammlung, hg. von Alexander Dückers, 2. Auflage, Berlin 1994, S. 342–343, Kat. VI.45 (mit weiterer Literatur)
Entstehungsort stilistisch: Neapel
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