Es handelt sich um eine Illustration zu dem berühmten Epos »Der rasende Roland« (Orlando Furioso) des italienischen Dichters Ludovico Ariosto (1474–1533), einem Werk, das 1516 erstmals in Ferrara erschien, aber erst 1532 in definitiver Endfassung vorlag. Die dargestellte Szene bezieht sich auf den 15. Gesang, Vers 77. Eine andere Fragonard-Zeichnung des Kabinetts (KdZ 4554) illustriert die Begegnung Rolands mit den Räubern im 13. Gesang. Beide Blätter gehören zu einem ungewöhnlich umfangreichen Illustrationszyklus des Künstlers zum »Orlando Furioso«. Er hat diesen vermutlich nach seiner zweiten Italienreise (1773/74) gegen Anfang der 1780er Jahre geschaffen. Die 160 bis heute hierzu nachgewiesenen Zeichnungen verteilen sich auf viele öffentliche und private Sammlungen vor allem der Vereinigten Staaten. Aufgrund des zahlenmäßigen Umfangs, der auf verschiedenen Blättern (wie auch bei unserem Beispiel) zu beobachtenden bildmäßigen Umrandung und der gelegentlich zentrierten Signierung am Kopfende wird angenommen, daß alle diese Zeichnungen ursprünglich für die Reproduktion in Stichform vorgesehen waren und in einer illustrierten Buchausgabe des Ariost-Textes zusammengefaßt werden sollten. Schon wegen ihrer ungewöhnlichen Größe und der vom Künstler durchgängig angewandten, äußerst differenzierten Laviertechnik erscheinen sie allerdings für den genannten Zweck denkbar ungeeignet. Hierin mögen vielleicht auch letztlich die Gründe zu suchen sein, warum das Projekt nicht zustande kam. Unabhängig von ihrer eventuellen Bestimmung und ihrer Bindung an einen literarischen Text sind die Pinselzeichnungen zu Ariosto autonome große Kunstwerke.
Text: Sigrid Achenbach in: Das Berliner Kupferstichkabinett. Ein Handbuch zur Sammlung, hg. von Alexander Dückers, 2. Auflage, Berlin 1994, S. 325-326, Kat. VI.24 (mit weiterer Literatur)
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