Die monumentale Figur eines sitzenden Heiligen, der durch seine Mitra als Bischof ausgewiesen ist, wurde zunächst mit dem grauen, teilweise verriebenen Stift skizziert. In einem zweiten Schritt trug Perugino mit dem Pinsel die zarten Schattierungen auf dem Gewand bis hin zu den dunklen Partien des Umhangs und den exakten Verläufen der Faltentäler auf. Umrisse und die wesentlichen Binnenstrukturen sind dann zum Zweck der kongruenten Übertragung mit einer Nadel durchstochen worden. Auch das relativ große Format und die auf Formeln reduzierte, graphisch vereinfachte Zeichnungsweise lassen auf die Funktion eines Kartons schließen.
Fischel vermutete aufgrund der Maße in dem »cartoncino« die Vorlage für ein Glasfenster. Mit Scheibenentwürfen hatte sich Perugino - Haupt der Umbrischen Schule des 15. Jahrhunderts und Lehrer Raffaels - vor allem in den 1480er Jahren beschäftigt. Eine Rekonstruktion, welche die leicht geschwungenen Streifen im Nimbus zum Kämpfersims einer Nische ergänzt, erlaubt den direkten Vergleich mit den Fenstermotiven, die sich ehemals im Kloster von S. Francesco de´ Conventuali im Colle di Val d´Elsa befanden (Fischel [Die Zeichnungen der Umbrer, in: Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen, XXXVIII] 1917, l, S. 27, Abb. 21). Dieser Entstehungszusammenhang erscheint plausibler als der Vorschlag, die Zeichnung einem ähnlichen, jedoch doppelt so großen Gemälde des »Hl. Augustinus« in Pittsburgh zuzuordnen (um 1500; Scarpellini [Perugino, Mailand] 1984, Nr. 119, Abb. 204). Perugino wird den Karton oder eine entsprechende Vorzeichnung nach der ersten Verwendung des öfteren benutzt haben. So finden wir die Gestalt noch einmal zwar seitenverkehrt, aber in der Disposition des Faltenwurfs fast identisch, als thronenden Gottvater über dem großen Fresko der Geburt Christi in Montefalco (um 1503?; ebd., Nr. 130, Abb. 214).
Text: Hein-Th. Schulze Altcappenberg in: Das Berliner Kupferstichkabinett. Ein Handbuch zur Sammlung, hg. von Alexander Dückers, 2. Auflage, Berlin 1994, S. 250-251, Kat. V.8 (mit weiterer Literatur)
Entstehungsort stilistisch: Umbrien
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