Der axial ausgerichtete Kruzifixus überragt nicht die Kontur des original zugehörigen Kreuzes. Die Füße mit gravierten Wundmalen ruhen nebeneinander auf einem kurzen, schrägen Suppedaneum (Fußbrett), das von einem schmalen Zwischenstück gestützt wird und mit einer Lasche am Kreuz befestigt ist. Die Beine sind parallel angeordnet, die Knie nur leicht gespreizt, der kräftige Oberkörper vertikal ausgerichtet und mit markanter Binnenstruktur versehen: Über einem spitzen Bauch mit betont ausgearbeitetem Nabel folgen die langen und engen Markierungen der schrägen Rippen, darüber der horizontal abgegrenzte Brustkorb mit kreissegmentförmigen Brustwarzen. Die Arme hängen nur sehr leicht durch, die Hände sind geringfügig nach oben gerichtet, mit ausgestreckten Fingern und angelegtem Daumen. Einzig der leicht nach links gewendete und gesenkte Kopf weicht von der ansonsten strengen Axialität ab. Das Gesicht mit geschlossenen Augen, länglicher Nase und schmalem Mund wird gerahmt von langem, auf die Schulter fallendem Haar. Auf dem Haupt sitzt eine Krone mit vier kreuzförmigen Zacken und Plättchenfries am Reif. Ein ähnlicher Fries schmückt den unteren Rand und das Cingulum (Gürtel) des auffällig asymmetrisch gestalteten Lendentuchs. Das Cingulum besitzt ungewöhnlicherweise zwei Bänder: ein breites mittleres mit Blütenmuster und ein kürzeres, schräg auf den rechten Oberschenkel fallendes. Zudem ist das Lendentuch über den Schenkeln unterschiedlich ornamentiert, über dem rechten mit einem Rautennetz, über dem linken mit schrägen Doppellinien.
Das in seiner Grundgestalt mit rechteckig erweiterten Enden einer im 12. Jahrhundert geläufigen Form folgende Krückenkreuz besitzt eine ungewöhnliche Ornamentik. Es zeigt einen umlaufenden erhöhten Rand mit Plättchenfries, in den Enden vor ziseliertem Rautenfeld die Evangelistensymbole und über dem Haupt Christi, direkt an den Johannesadler anschließend, die segnende Hand Gottes („dextera dei“). Die Reliefs der Evangelistensymbole sind in Medaillons, eingefasst, mit Ausnahme des Matthäusengels, der unten durch ein quadratisches Feld mit eigenem Rahmen hervorgehoben wird.
Das gesamte Kreuz wächst aus dem Maul eines Löwenkopfes, der ihm zugleich als Sockel dient. Da die Kreuzrückseite nur ein sehr schlichtes Ornament zeigt, dürfte das Kruzifix vor allem als Altarkreuz gedient haben.
(Auszug aus: Tobias Kunz, Bildwerke nördlich der Alpen. 1050 bis 1380. Kritischer Bestandskatalog der Berliner Skulpturensammlung, Petersberg, Michael Imhof Verlag 2014)
Entstehungsort stilistisch: Schwaben?
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