Ein Beispiel für das Fortleben traditioneller Motive in christlicher Zeit ist das Relief mit dem Abbild einer jungen Frau mit Kind. Die Mutter sitzt in einer Nische auf einer mit dicken Kissen ausgestatten Bank und reicht ihrem Kind die linke Brust. Zu Seiten ihres Kopfes sind zwei große Kreuze in den Stein gemeißelt. Wegen dieser Symbole galt das Relief lange Zeit als eines der frühestens Zeugnisse der Maria lactans, der stillenden Gottesmutter. Tatsächlich geht die Darstellung aber auf das Bild der orientalischen Muttergottheiten, in Ägypten vertreten durch Isis mit dem Horusknaben, zurück. Das Relief bildet sozusagen den Übergang vom vertrauten Bild der stillenden Göttin in einen christlichen Kontext. Die Reste einer aufgemalten Beischrift enthalten ein Sterbeformular, welches belegt, dass das Relief eine Grabstele war – womit die Deutung als Maria lactans hinfällig ist.
Cäcilia Fluck (März 2017)
Entstehungsort stilistisch: Ägypten, Medinet el Faijum
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