1886 reiste der Landschaftsmaler Friedrich Kallmorgen nach London. Er hatte den Auftrag, Illustrationen für die populäre deutsche Zeitschrift »Universum« anzufertigen. »London ist ein Ungeheuer«, schrieb er nach Hause über die ersten Erfahrungen in der Millionenstadt, in der ein Zeichnen vor Ort aufgrund der Hektik des Verkehrs schier unmöglich schien. »Alles ist colossal, die Ausdehnung und Grösse der öffentlichen Gebäude ist fabelhaft, und sie deshalb fast gar nicht zu packen« (zit. nach: Mit Kallmorgen unterwegs, Ausst.-Kat., Karlsruhe 1992, S. 25). Die ersten Skizzen entstanden wenige Meter von seiner damaligen Unterkunft entfernt und zeigen die mächtige Blackfriars Bridge, die von 1865 bis 1869 nach Plänen von James Cubitt erbaut worden war. Die Brücke, die den Londoner Stadtkern im Norden mit dem südlichen Bezirk Southwark verbindet, war mit den zwei unmittelbar benachbarten Eisenbahnbrücken eine der wichtigen Verkehrsachsen Londons. Dennoch dominiert bei Kallmorgen weniger der Eindruck turbulenten Straßenverkehrs als vielmehr das Atmosphärische. »Das Leben in den Strassen ist oft sehr malerisch«, empfand er (zit. nach: ebd., S. 49). So ist denn auch nicht die Brücke an sich das Motiv, sondern der breite Straßenzug mit seinen Passanten, Kutschen und dem Pferdeomnibus.
Die vorliegende Version der Brücke geht auf eine Vorzeichnung vom 28. August 1886 zurück (Privatbesitz), die ihrerseits als Vorlage für die xylographische Reproduktion von Heuer & Kirmse für die Zeitschrift »Universum« diente. Das Ölbild variiert diese Zeichnung nur gering und entstand laut Irene Eder unmittelbar nach der Rückkehr aus London 1886 (vgl. I. Eder, Friedrich Kallmorgen, Karlsruhe 1991, S. 33). Nach Ludwig Thormaehlen wurde das Bild erst 1908 vollendet (vgl. Verzeichnis der Gemälde und Bildwerke in der Königlichen National-Galerie zu Berlin, Berlin 1918, S. 53). Der betont skizzenhafte, leicht pastose Pinselstrich unterstützt den Eindruck eines unmittelbar festgehaltenen, flüchtigen Eindrucks. | Regina Freyberger
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