Lesser Ury, der Schwierige, Einsame und unwirtlich Behauste, war um 1900 in Berlin vor allem durch seine Stadtszenen bekannt geworden: Darstellungen mit hastenden, entindividualisierten Passanten auf oft abendlichen, regennassen Straßen. Das Bild »Frau am Schreibtisch« ist das getreue Gegenstück. Auch hier entspricht dem Momenthaften der Szene das Ausschnitthafte des dargestellten Raumes. Wir sehen die Frau, als wären wir zufällig hereingetreten. Anders als auf den Straßenbildern aber ist Ruhe dargestellt, ein individueller Mensch in seinem privaten Umfeld. Wie ein Zitat aus den Straßenbildern wirkt jedoch die Spiegelung auf dem Boden. Die Dargestellte in diesem dämmerigen von Rot-, Blau und Brauntönen bestimmten Raum, ist wahrscheinlich die Schwägerin des Künstlers.
Bilder privater Interieurs sind in Urys Werk eher selten, aber in fast jeder Werkphase vorhanden. In Paris und Belgien entstanden die ersten Interieurs, in Berlin in den 1890er Jahren nahm er das Motiv wieder auf. Fast immer sind diese gepflegten Räume von einer einzelnen Frau belebt. In den zahlreichen Darstellungen von Caféhäusern dagegen, öffentlichen Räumen, sieht man Paare, lesende Herren, ins Gespräch vertiefte oder auch vereinzelte Gäste. | Angelika Wesenberg
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