Volles Licht – bei Rayski ungewöhnlich – erhellt das faltige, kräftig modellierte Gesicht der alten Dame, die in ihrem Aufputz von Seide, Bändern, Spitzen, frischen Blüten wie eingeschlossen ist. Den Arm im schwarzen Schal verborgen, wendet sie sich in lebhafter Drehung über die Schulter dem Betrachter zu. Aus den tiefliegenden kleinen Augen blicken wissende Skepsis, Witz und Eigensinn; die leichte Untersicht suggeriert wohlwollendes Abstandnehmen, ein Wort im Vorübergehen. Das dekorative Ovalformat verwendete Rayski nur sehr selten, doch wie er ausnahmslos alle zur Verfügung stehenden Bildnisformen erprobte, so auch diese. Von der biedermeierlichen Korrektheit, der dieses Bild nur im Äußerlichen verpflichtet bleibt, hebt es sich dank der geistvollen, sehr direkten psychologischen Erforschung des Modells, das souverän in farbigen Schein überführt wird, ab.
Eleonore Sophie Henriette von Rayska, geborene Sichart von Sichartshofen (1776–1859), war 74 Jahre alt und seit 46 Jahren Witwe, als ihr Sohn sie malte. Sie lebte in der Nähe der Dresdner Frauenkirche in engen Verhältnissen. Nachdem der sächsische Oberstleutnant und Kommandeur eines Dragonerregiments Johann Carl von Rayski, der Vater des Künstlers, 1813 in russischer Gefangenschaft gestorben war, konnte sie die sechs unmündigen Kinder nicht selbst aufziehen; auch Ferdinand mußte Pflegeeltern anvertraut werden. | Claude Keisch
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