Alois Erdtelt zählt zu den vielen Schülern des Malers Wilhelm von Diez, der seit den 1870er Jahren Studenten in München so erfolgreich an die Freiluftmalerei und die niederländischen Meister des 17. und 18. Jahrhunderts heranführte, daß sich eine ganze Diez-Schule ausbildete. Erdtelts »mehr oder minder träumerisch oder großäugig in die Welt schauenden, gerade nicht immer schönen Frauen- und blumenbekränzten, vom hellen Sonnenschein oder abgetöntem halbem künstlichem Licht beleuchteten Mädchenköpfe« fanden stets ein dankbares Publikum, so Hyazinth Holland (Thieme-Becker, Allgemeines Lexikon der Bildenden Künste, Leipzig 1914, Bd. 10, S. 594). Das Bildnis der ernst in die Ferne blickenden jungen Unbekannten (Nationalgalerie, Inv.-Nr. NG 27/74) ist dafür – gerade auch im zurückhaltenden Kolorit – ein charakteristisches Beispiel.
Bei Diez, so Erdtelt, »wurde mir das Auge für charakteristisches Zeichnen und malerisches Sehen geöffnet« (zit. nach: Das geistige Deutschland, Bd. I, Berlin 1898, S. 163), und so ist denn auch in dem kleinen studienartigen Bildnis seiner Nichte Hanna, das im Sommer 1897 entstand, der Einfluß Diez’ noch deutlich im an Rubens geschulten Inkarnat spürbar. Das private Bildnis vor dunkelrotem Hintergrund ist in seiner lockeren Malweise, seinem engen Bildausschnitt und der ungekünstelten Pose von überzeugender Kraft. | Regina Freyberger
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