Dem dargestellten Knaben mit dem romantisch mittelalterlichen Vornamen, Sohn des sächsisch-königlichen Obermundschenks Kurt von Einsiedel (1811–1887), war nur ein kurzes Leben beschieden (1844–1868). Das Porträt zeigt ihn elfjährig, doch wirkt die Keckheit seines Auftretens eher jugendlich als kindlich. Der träumerisch verschleierte, helle Blick heftet sich gleichwohl auf den Betrachter, und die sehr gerade aufgerichtete Gestalt zeigt sich in klarer Vorderansicht, während die seitab in weiten Bögen bewegten Arme das Bildfeld gleichsam in Besitz nehmen. Die Hände sucht man vergebens, der Bildrand schneidet sie ab. Auf diese Weise hält Rayski des öfteren ein Porträt in der Schwebe zwischen dem anspruchsvollen Kniestück und dem intimeren Brustbild.
Schon in dieser sinnbeladenen Grundform bewährt sich sein psychologischer Realismus und nicht minder in der malerischen Subtilität, mit der eine verhaltene Palette zwischen samtenem Grau und hellem Ocker den Gesichtszügen nachgeht, die Körperform gegen den ganz unbestimmten, hellen Luftraum abgrenzt, die Beweglichkeit des weißen Kragens und der blonden Locken durch auffallend lockeren Farbauftrag anzeigt und Schlagschatten in aller Flachheit und Schärfe von den beleuchteten Partien absetzt. Mit Recht hat man angesichts dieses Bildes auf Manet und namentlich auf dessen »Le Fifre« (1866, Musée d’Orsay, Paris) verwiesen.
Als Jagd- und Porträtmaler konnte Rayski seine Besuche auf den Landsitzen befreundeter oder verwandter Adelsgeschlechter oft monatelang ausdehnen und die Pflege standesgemäßer Geselligkeit mit der Ausübung seines Berufes so verbinden, daß diese selbst einen – durchaus täuschenden – kavaliersmäßigen Anstrich erhielt. Die Grafen von Einsiedel waren nur eines der sächsischen Geschlechter, mit denen er über viele Jahre verbunden war. Er porträtierte mehrere Mitglieder der Familie von Einsiedel, darunter den Grafen Kurt (1853, Galerie Neue Meister, Dresden) und nach zwei Jahren noch einmal Haubold, diesmal in Seitenansicht und voll schwermütigen Ernstes (Verbleib unbekannt). | Claude Keisch
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