Der Baum, dem die deutsche Romantik den stärksten Ausdruck abgewinnen sollte, tritt schon mit den von James Macpherson 1762/63 veröffentlichten, in Deutschland bereits 1774 durch Goethes »Werther« bekannt gewordenen ›ossianischen‹ Gesängen in Erscheinung, in denen Heldentum häufig mit Eichensymbolik verbunden wurde. Auch Caspar David Friedrich hat keinem Baum so viel Aufmerksamkeit zuteil werden lassen wie der Eiche. Bestimmte, eindrucksvoll gewachsene Bäume, von ihm zunächst nach der Natur gezeichnet, stellte er mehrmals in verschiedenen Bildern mit oft patriotischem Hintergrund dar. Meist umstehen die Eichen Friedhöfe oder Hünengräber, oft ist es Spätherbst oder Winter. Die Eichen haben ein langes Schicksal hinter sich, sie haben Wind und Wetter standgehalten, sind von Stürmen gezeichnet oder vom Blitz getroffen. Mit sichtbarem Respekt vor ihrer Individualität hat Friedrich die charaktervollen Bäume wiedergegeben.
In Friedrichs Gemälde, das einen einsamen, in winterlicher Weite verlorenen Eichbaum im Schnee zeigt, wird der halb abgestorbene Baum zu einem monumentalen Denkmal der Vergänglichkeit. Ihm zu Füßen liegen geheimnisvoll erstarrte, fabelwesenartige Reste eines gestürzten Stammes. Die Äste der Eiche, merkwürdig verkrümmt, ergeben vor dem kühl strahlenden Himmelsblau ein seltsam verschlungenes Ornament. Wie in einigen anderen Gemälden mit Eichbäumen hat Friedrich sich auch hier für ein Winterbild entschieden. Der Schnee war ihm »das große weiße Tuch, der Inbegriff der höchsten Reinheit, worunter die Natur sich zu einem neuen Leben vorbereitet« (Caspar David Friedrich in Briefen und Bekenntnissen, München 1974, S. 129). Wie häufig in Friedrichs Bildern ist der Eichbaum zwar entlaubt, aber nicht erstorben, er wird wieder grünen und Blätter tragen. Friedrich hat keinen bedrückend verhangenen Wintertag dargestellt, sondern mit dem lichten blauen Himmel ein Zeichen der Hoffnung gesetzt. »Eichbaum im Schnee« ist die konzentrierteste, kompositorisch ausgereifteste Fassung des Motivs der entlaubten Eiche in einer Winterlandschaft, das bereits im »Hünengrab im Schnee« (1807, Galerie Neue Meister, Dresden), im »Winter« (1808, ehemals Bayerische Staatsgemäldesammlung München, 1931 durch Brand verloren), im »Klosterfriedhof im Schnee« (1817, ehemals Nationalgalerie, Kriegsverlust) und im Gemälde »Eiche im Schnee« (1827, Wallraf-Richartz-Museum, Köln) erscheint. | Birgit Verwiebe
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