Das Profilbildnis einer jungen, wehmütig in die Ferne blickenden Frau vor schlichtem grünen Hintergrund verarbeitet Anregungen von Hans Holbein (dem Jüngeren), den Albert von Keller sehr verehrte. Holbeins Porträt der Jane Seymour (Kunsthistorisches Museum, Wien) hatte der junge Künstler 1870/74 kopiert und verwahrte diese Kopie sein Leben lang in der Münchner Wohnung, auch als er nach eigenen Aussagen die »peinliche Holbeinsche Durchführung« längst zugunsten einer freieren Malweise aufgegeben hatte (zit. nach: O. A. Müller, Albert von Keller, München 1981, S. 20). 1884 schuf Keller zwei Bildnisse einer »Altdeutschen Frau« in bäuerlicher Tracht (Verbleib unbekannt) ebenfalls in »Holbeinartiger Malweise, mit denen er wohl beweisen wollte, daß er die Konkurrenz mit Leibl nicht zu scheuen habe, dessen Kirchenbild [»Drei Frauen in der Kirche«, 1881, Hamburger Kunsthalle] damals in Münchner Malerkreisen ungeheures Aufsehen erregte« (H. Rosenhagen, Albert von Keller, Bielefeld 1912, S. 53). Die Konkurrenz zu Leibl ist in dem Frauenbildnis der Nationalgalerie weniger spürbar. Es scheint eher Kellers symbolistisches Œuvre vorzubereiten. Seit etwa 1878 wandte sich Keller wie sein Münchner Kollege Gabriel von Max mit Interesse dem Spiritistischen und Okkulten zu: Séancen, Hypnose, Somnambulismus, selbst der Tod – sei es im Studium von Leichen oder in der Darstellung Scheintoter – waren seitdem wiederkehrende Themen seiner Malerei. Das blasse, strenge Mädchenbildnis scheint dieser Gedankenwelt nahezustehen.| Regina Freyberger
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