Die Serie der Frauenköpfe, die Jawlensky seit 1910 schuf (vgl. B 439), beendete er nach der Übersiedlung in die Schweiz im August 1914. Zusammen mit Marianne von Werefkin, seiner späteren Ehefrau Helene und dem gemeinsamen Sohn Andrej war er als russischer Staatsbürger aus seiner Wahlheimat Deutschland ausgewiesen worden. Dies hatte ihn tief getroffen, was sich auch in seiner Kunst niederschlug: „Anfangs wollte ich in St. Prex weiterarbeiten, wie ich in München gearbeitet hatte. Aber etwas in meinem Inneren erlaubte es mir nicht, die farbigen, sinnlichen, Bilder zu malen. Meine Seele war durch vieles Leiden anders geworden, und das verlangte andere Formen und Farben zu finden“ (Alexej Jawlensky, Lebenserinnerungen, in: Clemens Weiler, Alexej Jawlensky. Köpfe, Gesichte, Meditationen, Hanau 1970, S. 116). Zwei abstrakte Köpfe in der Sammlung der Nationalgalerie (A IV 193 und B 245) gehören zu einer Serie, die der Künstler ab etwa 1918 malte. Wie der frühere „Frauenkopf“ reicht das Motiv bis nah zum Bildrand, und die Farben haben keine beschreibende Funktion, doch nun sind die Dargestellten geschlechtslos und viel weiter abstrahiert. Die wesentlichen Elemente des menschlichen Gesichts – Augen, Nase, Brauen, Mund, Kiefer – dienen dazu, die Komposition in klare Bereiche zu unterteilen. Im Werk „Begierde“ suggerieren die geometrischen dunklen Linien und insbesondere der Schatten der Nase ein Relief. So reduziert die Arbeiten auch erscheinen, sind sie doch voller Bedeutung. Auf das Wesentliche konzentriert erscheinen innere Gefühle wie hier die Begierde. | Emily Joyce Evans
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