Nachdem Lehmbruck die „Kniende“ 1911 in Paris erstmals ausgestellt hatte, ließ er mehrere Güsse anfertigen. Parallel dazu arbeitete er das Motiv zu Torsi und Büsten um, indem er Beine und Arme wegnahm oder die Figur auf der Höhe der Brust abtrennte. Das Ringen des Bildhauers um den perfekten Ausschnitt hat der Kritiker Paul Westheim 1919 in seiner Monografie eindrücklich geschildert: „Mit dem Gießer unternimmt er oft die waghalsigsten Experimente, zerschneidet die Formen einer mehrfach schon gegossenen Figur, nimmt einen Beinansatz hinweg, der ihm zu massig aus der Fläche herauszudrängen scheint, beseitigt die Arme, womöglich auch den Kopf, um zu einem Torso von vollendetem Ebenmaß zu gelangen“ (Paul Westheim, Wilhelm Lehmbruck, Berlin 1919, S. 11). Auf dem in den Beständen der Nationalgalerie befindlichen „Torso der Knienden“ finden sich an Armen, Brust und Hüfte Striche, sodass es sich hier möglicherweise um einen Arbeitsgips handelt, an dem Lehmbruck Schnittvarianten für weitere Güsse markiert hatte. Der Torso offenbart die besondere kompositorische Bedeutung der überlangen Gliedmaße der ursprünglichen Gestalt. Ohne die nach vorn und hinten ausgreifende Stellung der Beine erscheint der Oberkörper nicht so spannungsreich wie bei der Ganzfigur. Zudem führt das Fehlen der Arme dazu, dass sich die Inwendigkeit der Figur ähnlich wie bei Lehmbrucks zuvor entstandenen Werken vor allem in der Neigung des Kopfes und den geschlossenen Augen äußert (vgl. „Großer weiblicher Torso“, B I 425). | Nina Schallenberg
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