Der in verschiedenen Pflegefamilien aufgewachsene Fuhrmann schloss 1910 eine Lehre als Dekorationsmaler ab und studierte von 1912 bis 1915 bei Emil Orlik an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums in Berlin. Nach dem Ersten Weltkrieg malte er einerseits expressiv-abstrakt, andererseits produzierte er sozialkritische Grafiken und Dada-Collagen. Diese Werke stellte er zwischen 1922 und 1925 in der Berliner Galerie Der Sturm aus. Das Gemälde „Bahnhofskiosk“ von 1926 hingegen zeigt einen Wandel hin zur konstruktiven Staffelung farbiger Rechteckflächen und diagonaler Streifen. Gesichter, Strichfiguren, Bildsymbole und Wortfragmente legen Assoziationen nahe. So könnte es sich bei dem Kopf im Zentrum um die Kioskverkäuferin handeln, die ein Auge auf den Zugabfertiger geworfen hat und sich eine gemeinsame Zukunft nach „FEIE(R)ABE(ND)“ erträumt. Umgekehrt wird sie von einem Kunden in den Blick genommen, der mit einem großen Geldschein („[MI]LLE“ = 1.000 Reichsmark) eine „MODE“-Zeitschrift kaufen will, während ein anderer bereits eine „REVUE“ erstanden hat. Der „ORT“ ist ein „(GL)AS“-Pavillon in „BE(RLIN)“. Eine Welt zwischen Kursbuch und „KUNS(T)BU(CH)“. Durch Fragmentierung und Überlagerung hat Fuhrmann die zerstreuten Gedanken, Träume und Wahrnehmungen von Reisenden und Personal in der von Sinnesreizen überfluteten Fülle eines Großstadtbahnhofs prägnant zur Anschauung gebracht. | Dieter Scholz
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