Von August 1922 bis Ende 1924 lebte der Ungar Bortnyik in Weimar, das durch das noch junge Bauhaus und die De-Stijl-Kurse Theo van Doesburgs zu den avantgardistischen Zentren Europas gehörte. Während seines Aufenthalts schuf der Künstler das Gemälde „Stillleben mit Krug“, dessen neben- und hintereinander gesetzte Farbflächen keiner homogenen Perspektive folgen. Wenngleich das Werk ein figürliches Motiv wiedergibt, liegen seiner Komposition die bildnerischen Prinzipien der „Képarchitektúra“ (Bildarchitektur) zugrunde – jener ungarischen Variante des Konstruktivismus, für die vor allem der Maler Lajos Kassák eintrat. Nach der Niederschlagung der Räterepublik in Ungarn war dieser, wie auch Bortnyik, Ende 1919 nach Wien geflohen, wo er an der Formulierung konstruktivistischer Schaffensprinzipien arbeitete. 1921 erschien sein von Bortnyik illustriertes Manifest „Képarchitektúra“. Darin forderte Kassák, dass sich die Formelemente eines Bildes nicht an der visuell wahrnehmbaren Wirklichkeit, sondern an ihrer eigenen Logik orientieren sollten. Dies betreffe auch die Hintergrundflächen, die – wie in Bortnyiks Gemälde – keine Raumillusion zu erzeugen, sondern als neutrale Flächen zu dienen hätten, vor denen die Bildarchitektur „mit ihren aufeinander gelegten Farben und Formen in den realen Raum“ trete (Lajos Kassák, Képarchitektúra, Budapest/Wien 1921, o. S.). Nach Überzeugung der konstruktivistischen Avantgarden spiegelten solche Werke den Glauben an die Kraft, mit der jedes Individuum die Gesellschaft formen und ordnen könne. | Nina Schallenberg
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