1911 stellte Lehmbruck im Pariser Salon d’Automne erstmals die „Kniende“ aus. Selbst wohlwollende Wegfährten hatten anfangs Schwierigkeiten, die überlangen Gliedmaßen und die ungewöhnliche Haltung der Frauengestalt wertzuschätzen. So berichtet Julius Meier-Graefe in seinem am 5. Januar 1932 in der „Frankfurter Zeitung“ veröffentlichten Artikel „Lehmbrucks 50. Geburtstag: 4. Januar“ von der Herausforderung seiner Sehgewohnheiten durch das Werk. Anstatt mit der vollplastischen Geschlossenheit, die Lehmbrucks zuvor entstandene Skulpturen auszeichnet, war er nun mit einzeln herausstechenden Kompositionselementen konfrontiert. „Wohl muss man jetzt auf alle Teile eingehen“, so Meier-Graefe, „[d]ann ändert sich jede Form. Brust, Hände, Arme, Schenkel, vorher zerrissen und kahl, gewinnen sanfte Fülle. Die erhobene Hand setzt den Traum des Antlitzes fort, und noch der weit zurückfluchtende Fuß ist notwendige Folge des aufragenden Körpers“. Mit der gegenseitigen Bedingtheit der Teile spricht Meier-Graefe das konstruktive Prinzip an, aus dem Lehmbruck die Komposition unabhängig von mimetischen Aspekten entwickelt hatte. Die plastische Präsenz der einzelnen Komponenten zeigt sich sogar bei dem Fragment der „Knienden“ – einem Überbleibsel des 1919 kurz nach Lehmbrucks Freitod von Ludwig Justi für die Nationalgalerie erworbenen Steingusses. Nachdem das Werk 1937 bei der Aktion „Entartete Kunst“ nicht beschlagnahmt worden war – anders als Exemplare der Museen in Dresden und Mannheim –, wurde es 1945 bei einem Bombenangriff zerstört, lediglich vier Bruchstücke blieben zurück. | Nina Schallenberg
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