Bereits 1911 hatte Käthe Kollwitz (1867–1945) zwei frühe Arbeiten Haim-Wentschers gesehen, woraufhin ein kollegialer Austausch zwischen den beiden Künstlerinnen begann, der zu einer langen Freundschaft wurde. Im Februar 1926 ließ sich Kollwitz von Haim-Wentscher porträtieren. Das Ergebnis ist ein ausdrucksstarkes, ernstes Bildnis, in dem die charakteristischen Gesichtszüge der Künstlerin und der für sie typische Haarknoten prägnant herausgearbeitet sind. Offensichtlich war Kollwitz zufrieden mit dem Resultat. Im April schrieb sie der Malerin Mathilde Rüstow: „Die Arbeit von Tina Haim ist zuletzt doch sehr gut geworden, ich freue mich. Hab auch lang genug gesessen“ (Käthe Kollwitz Archiv, Akademie der Künste Berlin, Nr. 335, zit. nach Annette Seeler, Käthe Kollwitz. Die Plastik, München 2016, S. 223). Haim-Wentscher schuf das Porträt zunächst in Gips. Die Fassung aus Tonmergel, die sich heute in der Nationalgalerie befindet, wurde 1927 vom Freistaat Preußen erworben. Vermutlich handelte es sich um ein Auftragswerk, denn der 60. Geburtstag von Kollwitz stand kurz bevor. Noch bis 1931 arbeitete Haim-Wentscher erfolgreich in Berlin – dann gewann sie eine Schiffspassage nach Ostasien, die sie gemeinsam mit ihrem Mann antrat. Aufgrund der politischen Verhältnisse kehrten die beiden Künstler nicht nach Deutschland zurück, sondern ließen sich nach verschiedenen Stationen in Asien in Australien nieder, wohin sie 1940 zunächst als „enemy aliens“ deportiert worden waren. | Maike Steinkamp
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