Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde Kollwitz 1933 aus politischen Gründen aus der Berliner Akademie der Künste ausgeschlossen. Nachdem sie dort ihr Atelier hatte räumen müssen, zog sie 1934 in die Ateliergemeinschaft Klosterstraße. Am 22. Oktober 1937 schrieb sie über ihr künstlerisches Schaffen in ihr Tagebuch: „Ich arbeite an der kleinen Plastik, die hervorgegangen ist aus dem plastischen Versuch, den alten Menschen zu machen. Es ist nun so etwas wie eine Pietà geworden […]. Es ist nicht mehr Schmerz, sondern Nachsinnen“ (Käthe Kollwitz, Tagebuchblätter und Briefe, hrsg. v. Hans Kollwitz, Berlin 1948, S. 110). Diese Pietà steht im Zusammenhang mit dem Tod von Kollwitz’ Sohn Peter im Krieg 1914 und ihrem Pazifismus. Das Motiv bot der Künstlerin die Möglichkeit, Trauer, Liebe und den Zustand des alten Menschen auszudrücken. Sie verstand ihre Pietà als „nicht religiös“: „Meine Mutter bleibt im Sinnen darüber, dass der Sohn nicht angenommen wurde von den Menschen. Sie ist eine alte einsame und dunkel nachsinnende Frau“ (Tagebucheintrag vom Dezember 1939, in: ebd., S. 111). Gleichwohl hat Kollwitz’ Wortwahl einen deutlich biblischen Bezug. Der Gedanke, dass Gottes Botschaft nicht angenommen werde, erscheint in zahlreichen Passagen des Alten und Neuen Testaments, etwa in Jesu Aussage: „Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterland und in seinem Hause“ (Matthäus 13, 57; vgl. Markus 6, 4). 1993 erhielt der Bildhauer Harald Haacke den Auftrag für eine vierfache Vergrößerung der „Pietà“ für die Neue Wache in Berlin, Deutschlands Zentrale Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. | Emily Joyce Evans
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