museum-digitalsmb
STRG + Y
de
Gemäldegalerie Malerei Italien (13.-15. Jh.) [106] Archiv 2021-01-30 03:09:44 Vergleich

Thronende Maria mit dem Kind und den beiden Johannes (The Virgin and Child Enthroned, with the Two Johns)

AltNeu
4Inventarnummer: 1064Inventarnummer: 106
55
6Beschreibung6Beschreibung
7Von Botticelli, dem wohl berühmtesten Florentiner Maler des späten 15. Jahrhunderts, besitzt die Gemäldegalerie sechs Werke, von denen allerdings drei nur Werkstattarbeiten oder Repliken sind. Von den drei übrigen ist der heilige Sebastian aus S. Maria Maggiore das bedeutendste. Das prächtigste, anspruchsvollste, besterhaltene und dasjenige, über dessen Entstehung wir am besten unterrichtet sind und dessen ursprünglicher Kontext heute noch unmittelbar einsehbar ist, ist das Altarbild der Bardi-Kapelle in S. Spirito in Florenz. Botticelli malte es für den Florentiner Kaufmann Giovanni d’Agnolo de’ Bardi (1431-1487/88), der fast zwei Jahrzehnte vorwiegend in England gelebt und dort als geschäftsführender Partner in der Londoner Niederlassung der Medici-Bank gewirkt hatte. 1483 nach Florenz zurückgekehrt, erwarb er einen Palazzo in der Via de’ Benci und errichtete in S. Spirito eine Grabkapelle für sich, und zwar an der Stirnwand des Chorarms der nach Plänen von Brunelleschi errichteten Kirche, deren Innenausstattung zum großen Teil durch einen Brand im Jahre 1471 vernichtet worden war. Daher mußten die Familien, die schon Patronatsrechte über einzelne Kapellen besaßen, eine komplette Neuausstattung der Altäre in Auftrag geben. Im März 1484 waren die Altäre aufgemauert, die Aufträge für die Altarretabel konnten vergeben werden. Der Altar der Bardi-Kapelle in der flachen, halbrunden hohen Nische unterhalb des hochgelegenen schmalen Fensters – genau in der Verlängerung des linken Seitenschiffs und von dort im Durchblick zu sehen – gehörte zu diesem Ausstattungsprogramm von Kapellen; sie wurden in den Nischen des Chorarms und der beiden Querarme errichtet und sind zum großen Teil heute noch mit ihren originalen Tabernakelrahmen erhalten. Botticelli wurde am 3. August 1485 für sein Bild bezahlt, nachdem der Architekt Giuliano da San Gallo schon vorher für den von ihm entworfenen Rahmen entlohnt worden war. Im Gegensatz zu der Mehrzahl der Kapellen in den Querarmen, deren originale Altäre erhalten geblieben sind, wurden die vier Altäre an der Stirnwand des Chorarms, darunter auch der Altar der Bardi-Kapelle, am Ende des 16. Jahrhunderts bzw. im 17. Jahrhundert mit größeren, hochrechteckigen Altaraufbauten versehen. Das neue Altarbild, das Botticellis Werk verdrängte, wurde von Jacopo Vignali (1592-1664) gemalt und stellt ein ganz anderes Thema dar. Als damals von der Familie Bardi Botticellis Bild zurückgezogen wurde, ging wohl schon der originale Rahmen verloren. Nur der Paliotto, der die Vorderseite der Mensa schmückt, blieb erhalten. 1825 verkauften die Bardi das Altarbild an den Kunsthändler F. Acciaj, der es 1829 über Rumohr an die Königlichen Museen verkaufte. Das Bild stellt die auf der marmorverkleideten Steinbank thronende Maria mit dem Kind zwischen Johannes dem Täufer und Johannes dem Evangelisten dar. Der Ehrenplatz zur Rechten der Madonna ist Johannes dem Täufer zugewiesen, dem Titelheiligen der Kapelle, Namenspatron des Auftraggebers und Stadtpatron von Florenz. Die Komposition des Bildes ist ein klassisches Beispiel der Sacra Conversazione, der thronenden Madonna »im Gespräch« mit den flankierenden Heiligen, die die Gläubigen dem Schutz der Madonna anempfehlen. Die Figuren sind hinterfangen von einer reichen, dichten Vegetation. An den Blumenvasen und im Laubwerk weisen Schriftbänder mit lateinischen Zitaten aus dem Buch Jesus Sirach darauf hin, daß nach mittelalterlicher Auslegung die Gottesmutter als Thron der göttlichen Weisheit verstanden wurde.| Erich Schleier7Das Kompositionsschema der Thronenden Maria mit Kind und Heiligen in einem einheitlichen, quadratischen Gemälde entwickelte sich während der Renaissance zu einem sehr populären Sujet und erhielt später die Bezeichnung »Sacra conversazione « (heilige Unterredung). Es handelt sich um eine florentinische Invention, mit der Fra Angelico Mitte der 1430er-Jahre den Versuch unternahm, die traditionellenTypologie des Polyptychons zu erneuern. Schon bald gehörte sie in der toskanischen Region zu den gängigen Altarmotiven. Die Altartafel für die Grabkapelle des Florentiner Kaufmanns Giovanni d’Angelo de’ Bardi (1433–88) bildet hier keine Ausnahme.
8Giovanni de’ Bardi stammte aus einer Florentiner Patrizierfamilie und war in London zu Reichtum gelangt, wo er vor allem für die Medici-Bank tätig war. In den frühen 1480er-Jahren kehrte er in seine Heimatstadt zurück, um dort
9seine letzten Lebensjahre zu verbringen. Verständlicherweise wandte er sich bei seiner Suche nach einem Künstler für die Ausstattung seiner Grabkapelle an die befreundeten Medici; diese sollte in der erst kurz zuvor nach Plänen von Filippo Brunelleschi fertiggestellten Pfarrkirche S. Spirito entstehen. Als Architekt wählte er Giuliano da Sangallo, der zur gleichen Zeit mit dem Bau der Medici-Villa in Poggio a Caiano begann.
10Der geschnitzte Originalrahmen ist verschollen, wies aber vermutlich einen kunstvoll antikisierenden Stil mit ähnlichen Dekorationen wie der Sockel des Marienthrons auf. Mit dem Gemälde wurde Sandro Botticelli beauftragt. Dieser hatte gerade erst mehrere Meisterwerke für die Medici vollendet, darunter die Primavera (Frühling) und die Geburt der Venus (beide in den Uffizien), und war von einem Aufenthalt in Rom zurückgekehrt, wo er an der Ausmalung der Sixtinischen Kapelle beteiligt gewesen war.
11
12Dieses Bild strahlt jedoch eine völlig andere Atmosphäre aus als die Geburt der Venus. Zwar handelt es sich um ein religiöses und kein weltliches Thema, doch könnte Johannes der Täufer mit weniger Kleidungsstücken dargestellt sein (wie auf Botticellis ein Jahrzehnt zuvor entstandenem Heiligem Sebastian in der Gemäldegalerie). Auch verbirgt die Jungfrau ihre Brust, die sie drückt, um das Christuskind zu stillen – ganz im Gegensatz zur nackten Venus, die großen Anteil an Botticellis Ruhm besaß.
13Der Maler und seine Werkstatt fertigten mehrere Repliken der Geburt der Venus an, in denen nur die Venus vor einem schwarzen Hintergrund zu sehen ist. Eine dieser Werke wird ebenfalls in der Gemäldegalerie aufbewahrt (Abb. S. 343). Doch die Zeichen standen auf Wandel, vor allem in Florenz, wo man feststellte, dass die ungebremste Verherrlichung einer heidnischen Antike, die im Zentrum der Renaissancekunst stand, mitunter christlichen Moralvorstellungen zuwiderlief.
14Zu dieser Zeit begann Botticelli damit, asketische Figuren (den Täufer) und ernste Gesichter (Johannes der Evangelist, erkennbar an dem Adler dahinter) zu malen oder nackte Haut zu verbergen (Marias Brust). Kurze Zeit später sollte er einige Tafeln mit nackten Frauen, die er in vorangegangenen Jahren gemalt hatte, mit eigenen Händen verbrennen und dem strengen Regiment folgen, dass der Dominikaner Girolamo Savonarola 1494 in Florenz eingerichtet hatte.
15
16Dieses Bild entstand jedoch zu einem früheren Zeitpunkt. Hier ist Botticelli immer noch der Maler der Primavera, der Pflanzen und Blumen mit der Präzision eines Botanikers wiedergibt. Auch sind die drei Nischen hinter den Heiligen nicht in Stein ausgeführt, wie in der Sacra conversazione üblich, sondern bestehen aus Laub. Diese einzigartige Entscheidung ist von besonderer Bedeutung und wird von der Inschrift im Spruchband an der Vase im Hintergrund deutlich. Die Sprüche stammen beinahe ausnahmslos aus dem Buch Kohelet und wurden im 15. Jahrhundert bei Gebeten an die heilige Jungfrau rezitiert. Sie behandeln das Pflanzen von Bäumen, insbesondere von Palmen, Zedern, Zypressen und Olivenbäumen – die vier Holzarten, aus denen nach Ansicht des Theologen Hugo von St. Viktor aus dem 12. Jahrhundert das Kreuz Christi gefertigt war. Die Lilien auf dem Thron Mariens verweisen auf deren Jungfräulichkeit, zugleich symbolisiert durch die Vegetation im Hintergrund: Es handelt sich ohne Zweifel um einen Garten, einen geschlossenen Garten, so wie Maria Jungfrau geblieben und von keinem Mann berührt worden ist. Die Gleichsetzung der Jungfrau Maria mit einem Hortus conclusus (verschlossener Garten) war für die zeitgenössischen Betrachter deutlich, es ist jedoch unwahrscheinlich, dass jemand, der die Inschriften nicht kannte, in der Lage war, deren
17Sinn zu verstehen. Die volle Bedeutsamkeit des Altarbilds erschloss sich demnach nur wenigen.
18
19In diesem Altarbild zeigt sich Botticelli daher sowohl expressionistisch – in den Gesichtsausdrücken, die seiner üblichen Malweise entsprechen – als auch symbolistisch, in der Auswahl der Pflanzen im Hintergrund (dass zwei Heilige mit gleichlautendem Namen Johannes dargestellt sind, ist ebenfalls kein Zufall, da der Auftraggeber den Vornamen Giovanni trug). Die überragenden Fähigkeiten des Malers spiegeln sich nicht nur in der Präzision wider, mit der er die Vegetation wiedergibt: Im Zentrum ist im Vordergrund eine kleine Tafelmalerei vor ein Gefäß, ebenfalls ein Symbol der Jungfrau, gestellt. Sie zeigt eine Kreuzigungsszene auf blauem Hintergrund und scheint nicht dem Bildraum des Gemäldes anzugehören: Entgegen der Vase wirft die Tafel keinen Schatten auf die Brüstung im Vordergrund. Sie wirkt wie die Tür eines echten Tabernakels, das sich quasi im Altarbild befindet und dem man Hostie und Wein – den Leib und das Blut Christi – entnehmen kann.
20Am einstigen Aufstellungsort des Altarbilds, die erste Kapelle auf der linken Seite des Chorumgangs von S. Spirito, besaß dieser Trompe-l‘OEil-Effekt sicherlich eine noch stärkere Wirkung.
21
22Ein letztes Detail wurde bislang wenig beachtet: Auf der kolorierten Marmorplatte zur Linken des Marienthrons erkennt man deutlich ein männliches Profil, das von einem Lorbeerkranz gekrönt ist. Es handelt sich entweder um eine freie Kopie nach einer antiken Medaille oder das idealisierte Porträt eines Humanisten, wenn nicht gar des bekanntesten Bewunderers der Antike in Florenz, Lorenzo il Magnifico. Diese Frage bedarf zu ihrer Klärung noch weitere Studien.| 200 Meisterwerke der europäischen Malerei - Gemäldegalerie Berlin, 2019
823
9Material/Technik24Material/Technik
10Pappelholz25Pappelholz
1126
12Maße27Maße
13Bildmaß: 185 x 180 cm; Rahmenaußenmaß: 273 x 278 cm28185 x 180 cm
1429
15___30___
1631
1732
18- Gemalt ...33- Gemalt ...
19 + wer: [Sandro Botticelli (1445-1510)](https://smb.museum-digital.de/index.php?t=people&id=1504)34 + wer: [Sandro Botticelli (1445-1510)](https://smb.museum-digital.de/index.php?t=people&id=1504) [wahrsch.]
35 + wann: 1484-1485 [circa]
36 + wo: [Italien](https://smb.museum-digital.de/index.php?t=oak&ort_id=197)
37
38- Beauftragt ...
39 + wer: [Giovanni d'Agnolo de' Bardi (1431-1488)](https://smb.museum-digital.de/index.php?t=people&id=168789)
40
41- Gekauft ...
42 + wann: 1829
43
44- Wurde abgebildet (Akteur) ...
45 + wer: [Johannes (Evangelist)](https://smb.museum-digital.de/index.php?t=people&id=17081)
46
47- Wurde abgebildet (Akteur) ...
48 + wer: [Johannes der Täufer](https://smb.museum-digital.de/index.php?t=people&id=7364)
49
50- Wurde abgebildet (Akteur) ...
51 + wer: [Jesus Christus (-4-30)](https://smb.museum-digital.de/index.php?t=people&id=5196)
52
53- Wurde abgebildet (Akteur) ...
54 + wer: [Maria (Mutter Jesu)](https://smb.museum-digital.de/index.php?t=people&id=7286)
20 55
21## Links/Dokumente56## Links/Dokumente
2257
2459
25## Schlagworte60## Schlagworte
2661
62- [Adler](https://smb.museum-digital.de/index.php?t=tag&id=2393)
63- [Altarbild](https://smb.museum-digital.de/index.php?t=tag&id=24381)
64- [Evangelist](https://smb.museum-digital.de/index.php?t=tag&id=16102)
27- [Gemälde](https://smb.museum-digital.de/index.php?t=tag&id=266)65- [Gemälde](https://smb.museum-digital.de/index.php?t=tag&id=266)
66- [Heilig](https://smb.museum-digital.de/index.php?t=tag&id=1721)
67- [Schreibtafel](https://smb.museum-digital.de/index.php?t=tag&id=8804)
68- [Spruchband](https://smb.museum-digital.de/index.php?t=tag&id=38390)
2869
29___70___
3071
3172
32Stand der Information: 2021-01-30 03:09:4473Stand der Information: 2021-07-23 16:35:16
33[CC BY-NC-SA @ Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin](https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/)74[CC BY-NC-SA @ Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin](https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/)
3475
35___76___
Gemäldegalerie

Objekt aus: Gemäldegalerie

Die Gemäldegalerie besitzt eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen europäischer Malerei des 13. bis zum 18. Jahrhunderts. Die Bestände umfassen...

Das Museum kontaktieren