Die beiden Medaillons mit dem Bildnis einer alten Frau (Inv. Nr. 1904,54) bzw. eines alten Mannes (Inv. Nr. 1904,55) zeugen von dem im 18. Jahrhundert sehr beliebten Sujet der so genannten Charakterköpfe. Diese Darstellungen zeigen Phantasiebildnisse mit vorzugsweise alten, individuell gestalteten Physiognomien, deren Wiedergabe eine besondere Herausforderung an den Künstler stellt. Angeregt wurde dieses Sujet von der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, insbesondere von der Grafik Rembrandts. Auch der Maler Januarius Zick setzte sich intensiv mit derartigen „Charakterköpfen“ auseinander und fertigte mehrere Gemälde und Zeichnungen von alten, ausdrucksvollen Personen an. Wir kennen zwei signierte Zeichnungen nach einem auf 1773 datierten Gemäldepaar, die nicht nur ganz ähnliche Bildnisse, sondern bereits vollständig gerahmte Medaillons zeigen. Dreimal – soweit bekannt – wurden die zwei Medaillons mit den Köpfen einer alten Frau und eines alten Mannes angefertigt, die sich allein in dem individuellen Fertigungsprozess geschuldeten Details unterscheiden. Das aufwändigste Paar im Berliner Kunstgewerbemuseum folgt mit der vergoldeten Bronzerahmung der Zeichnung und stammt – anders als die beiden Paare in Nürnberg und Weimar – aus dem Besitz der Familie Roentgen selbst.
Die beiden Medaillons sind Kabinettstücke der Marketeriekunst. Bei ihrer geringen Größe ist die gesamte Bildfläche nicht nur als ausgesprochen kleinteiliges Mosaik ausgeführt, sondern auch aufs Äußerste verfeinert. Dabei bildet die aus kleinsten, in Farbabstufungen gebeizten Einzelteilen zusammengesetzte Marketerie gewissermaßen den Rohling für die darauf folgende Verfeinerung des Bildes. In der gerühmten Technik der Manufaktur geschah auch dies in Holz und nicht wie vordem mit gekitteten Pasten, Gravuren oder oberflächlich aufgelegten Lasuren und Malerei: „alle Schattierungen, auch sogar die Lineamenta [Charakterzüge], und Gesichtszüge sind wirklich alle von Besonders harten und festen Hölzern eingeleget.“ Dazu wurde das Marketeriebild zunächst zeichnerisch überarbeitet, dann wurden die Korrekturen mit dem Messer eingeschnitten und schließlich passend gearbeitete Späne aus hartem Holz in die Marketerie eingetrieben und so mikroskopisch kleine Details aufgebaut. Das stark vergrößerte Auge der Frau mag dies veranschaulichen (Detailabb.), hier sind Iris und Pupille aus sicherlich zwei Dutzend Spänen aufgebaut und verschiedenste Strichstärken simuliert. Dabei sind die Markstrahlen der Hirnholzspäne geschickt eingesetzt, um die Korona der Iris zu bilden oder den glänzenden Reflex auf der Wölbung des Augapfels zu erzeugen. Augen und Mund, Partien des Gewandes, das Haar und das feine Netz der Haube sind auf diese Weise ausgearbeitet, und es fällt nicht schwer, in das zeitgenössische Lob auf Johann Michael Rummer, den Hauptmeister dieser Technik, einzustimmen, dass nämlich „der Name Holz-Mosaik für Arbeiten dieser Art noch zu wenig ausdrücke, weil sie (…) von fern und in der Nähe das Aug des Kenners täuschet, und alle Spuren der Einlegung und Zusammensetzung (…) auf das künstlichste verbirgt, und sie gleichsam durch die Schmelzung der Theile, und der sowohl natürlichen als geätzten Hölzer, in einander, gänzlich wegwischt.“
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