Die Gruppe besteht aus vier Figuren auf einem grasbewachsenen, ovalen Sockel. In der Mitte sitzt eine junge Frau, umgeben von drei Kindern. Während die Frau - vermutlich die Mutter - von dem älteren Mädchen abgelenkt wird und dieses mit der erhobenen Rechten ermahnt, merkt sie nicht, dass die beiden kleinen Jungen buchstäblich hinter ihrem Rücken Äpfel aus dem am Boden stehenden Korb stehlen. Das Tonmodell ist mit einer dunklen Firnisschicht überzogen, die die Einzelheiten der bis in die Details feinen plastischen Gestaltung hervorhebt. Es ist unbezeichnet.
Um 1775 nahm die Höchster Porzellanmanufaktur das Modell „Der Apfeldieb" in die Produktion auf. Eine Ausformung in bemaltem Porzellan konnte 2017 für das Berliner Kunstgewerbemuseum erworben werden. Das Tonmodell dürfte kurz vorher entstanden sein. Größe und Feinheit der Oberflächen des Tonmodells sprechen dafür, dass es sich um ein Originalmodell und nicht eine spätere Ab- bzw. Nachformung handelt.
Nach Schließung der Höchster Porzellanmanufaktur (1796) wurden die originalen Formen nicht zerstört, sondern kamen in Umlauf. Zahlreiche gingen im Laufe des 19. Jahrhunderts an die Dammer Steingut-, die Poppelsdorfer Steingut- und Fayencefabrik Franz Anton Mehlem und schließlich 1903 an die Passauer Porzellanfabrik Dressel, Kister & Co weiterverkauft, die sie für die Neuausformung der beliebten Melchior-Modelle verwendeten. Dabei wurden auch neue Tonmodelle angefertigt. Das Modell „Apfeldieb“ aus dem Berliner Kunstgewerbemuseum könnte jedoch direkt aus der Manufaktur stammen. In die Sammlung des Kunstgewerbemuseums ist es 1875 als Teil der Kunstkammersammlung gekommen, kam jedoch ursprünglich aus der Sammlung des preußischen Generalpostmeisters Karl Ferdinand Friedrich von Nagler (1770-1846), die zu großen Teilen bereits 1835 vom preußischen Staat angekauft worden war. Naglers Interesse lag, ganz im Sinne der Idee der Vorbildersammlungen für die preußische Gewerbeförderung, gerade auch beim Erwerb von Modellen.
Johann Peter Melchior ist ein gutes Beispiel dafür, dass das exklusive Material Porzellan im 18. Jahrhundert für ambitionierte Bildhauer ein neues und reizvolles Betätigungsfeld darstellte. Melchior hatte seine Karriere 1765 bei der Höchster Porzellanmanufaktur begonnen, wo er von 1766/67 bis 1779 die Position des Modellmeisters innehatte. 1770 wurde er zum Hofbildhauer des Mainzer Kurfürsten Emmerich Joseph von Breidbach-Bürresheim (1707–1774) ernannt. Von 1779 bis 1793 war er Modellmeister an der Frankenthaler und von 1797 bis 1822 an der Nymphenburger Porzellanmanufaktur; an beiden Stationen führte er auch den Titel des Hofbildhauers. Im Bestand des Berliner Kunstgewerbemuseums befinden sich zwei von Melchior signierte Tonmodelle eines schlafenden und eines ruhenden Knaben (Inv. Nr. 1914,53/54), die als Vorführmodelle bei potentiellen Auftraggebern gedient haben mögen. Er schuf nicht nur Porzellanfiguren, sondern arbeitete auch in Alabaster und Marmor.
Lit.: Claudia Kanowski, Tonmodelle in der Porzellanplastik, in: Claudia Kanowski, Lothar Lambacher: Tönerne Welten. Figürliche Keramik aus sechs Jahrhunderten. Eine Bestandsaufnahme im Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Museen zu Berlin, Sonderdruck aus: Keramos (2015/I), Heft 227, S. 3-48, hier S. 4, 33 und 35
Patricia Stahl, Stefanie Oehling: Höchster Porzellan 1746-1796, Ausst. Kat. Historisches Museum der Stadt Frankfurt, Heidelberg 1994, S. 200
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