„Tod“ invertiert das im Vorjahr gemalte, formatidentische Gemälde „Geburt“ (B 65): Es wirkt wie auf den Kopf gestellt, denn nun verläuft der Dielenboden an der Decke, an der Dämonen, Engel und ein Chor ihr schauriges „Ante Deum“ heulen. Darunter liegt wie erfroren und in Eis gebettet die junge Verstorbene, die mit geöffnetem Mund mitzusingen scheint. Eine vielfüßige Farbige/Priesterin hält vor dem Sarg stehend eine erloschene Kerze (Symbol des Todes), während links eine unbeteiligt wirkende Frau ein Getränk serviert bekommt. Rechts umschlingen sich sinnlich eine dunkelhaarige Frau und ein großer blauer Fisch, als könnte dem Tod ein neues Werden folgen oder trüge ein Totemtier eine Seele davon – vielleicht ein Einfluss theosophischer Ideen, mit denen sich Beckmann damals beschäftigte. Im Vergleich zu „Geburt“ ist der Maßstab der Figuren reduziert. Womöglich also hat Beckmann die Bilder gar nicht gemeinsam geplant, sondern erst im Nachhinein als Diptychon konzipiert? Dies würde durchaus seinem prozessualen Arbeiten entsprechen, denn er folgte keinen vorgefassten Ideen. Vielmehr war ihm das Bild immer Resultat eines genuinen Erkenntnisvorgangs und dessen erneute In-Gang-Setzung: „Das Suchen nach dem eigenen Selbst ist der ewige nie zu übersehene Weg, den wir gehen müssen. Es gibt natürlich auch hierfür andere Wege, Literatur, Philosophie oder Musik. – Meine Ausdrucksform ist nun einmal aber die Malerei. Belastet – oder begnadet – mit einer furchtbaren vitalen Sinnlichkeit muß ich die Weisheit mit den Augen suchen“ (Londoner Rede, 21.7.1938, in: Max Beckmann, Die Realität der Träume in den Bildern, München/Zürich 1990, S. 50). | Olaf Peters