Durch eine Portalöffnung blickend sieht man die Madonna in einem kapellenartigen Raum am Fenster stehen und rechts daneben einen betenden Mönch knien. Der Krummstab weist ihn als Abt aus. Seinen Namen verrät die Inschrift am oberen Plattenrand. Die Worte auf dem Spruchband lauten »jesu verbum suum patris/ serva servos tue matris« (Jesu ist das Wort seines Vaters/ Behüte die Diener deiner Mutter).
Wie W. Timm 1961 nachwies, kompilierte der Graveur 2 Stiche des Meisters E. S. Die Gestalt der Madonna übernahm er von dem einen (Lehrs 80), das Interieur von dem anderen (Lehrs 191).
G. K. Nagler zufolge befand sich die Platte bis ins 18. Jahrhundert hinein in der Sakristei der zur Abtei Churwalden im Schweizer Kanton Graubünden gehörenden Kirche St. Maria und Michael, die im Mai 1472 abgebrannt war und unter Abt Ludwig von Lindau schrittweise wieder aufgebaut wurde. 1477 ist als Weihedatum des Altars im wiederhergestellten Altarraum überliefert. Die Platte, deren Rand ehemals 26 Nagellöcher aufwies, dürfte den Einband des Missale geschmückt haben. Dem Goldschmied, der sie gravierte, werden auch die beiden silbervergoldeten Reliquienbüsten der Kirche zugeschrieben. Sein Name ist nur durch die Inschrift am unteren Rand der Schmuckplatte überliefert.
Der Kunsthändler Hertel benutzte die Platte zum Drucken. Weil jedoch die Schrift dabei seitenverkehrt erscheint, wurden Gegendrucke hergestellt. Durch Abschneiden der Nagellöcher rechts und links erfolgte eine Verkleinerung der Platte.
Text: Renate Kroll in: Das Berliner Kupferstichkabinett. Ein Handbuch zur Sammlung, hg. von Alexander Dückers, 2. Auflage, Berlin 1994, S. 517, Kat. IX.4 (mit weiterer Literatur)