Der aus Tribsees bei Rostock stammende Theologe und Philosoph Johann Joachim Spalding (1714–1804) wurde 1764 von Friedrich dem Großen als Propst an die Nikolaikirche in Berlin berufen und zum Konsistorialrat ernannt. Er hing den Ideen Christian Wolffs und Shaftesburys an und befreundete sich mit Ewald Christian von Kleist und Johann Wilhelm Ludwig Gleim. Spalding vertrat aufklärerische Ideen auf dem Gebiet der Religion, etwa in seiner 1748 erschienenen berühmten Schrift Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. Seine Predigten machten ihn weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Wegen des aufklärungsfeindlichen Wöllnerschen Religionsedikts legte Spalding 1788 sein Amt nieder. 1771 bestellte der Leipziger Buchhändler Philipp Erasmus Reich für seine Freundschaftsgalerie bei Graff ein Bildnis des bekannten Theologen, das der Künstler während einer Reise nach Berlin ausführte (Kustodie der Universität Leipzig). Auch später kam es wiederholt zu Begegnungen zwischen Graff und Spalding.
Das 1777 entstandene, in der Nationalgalerie bewahrte Bildnis (Inv.-Nr. A I 370) zeigt den Gelehrten in Amtstracht mit Perücke, leicht nach rechts gewendet. Es war Vorlage für den 1778 datierten Bildnisstich von Johann Friedrich Bause sowie für Stiche von Johann Heinrich Lips, John Penningh und Johann Friedrich Bolt. Das 23 Jahre später gemalte Porträt zeigt den inzwischen 86jährigen Gelehrten als Privatmann mit schwarzseidener Hausmütze und grünem Hausmantel im Lehnstuhl sitzend. Graff soll die eindrucksvolle Charakterstudie des alten Spalding für sein bestes Bildnis gehalten haben. Bei dem Gemälde der Nationalgalerie (Inv.-Nr. A I 53) handelt es sich um eine eigenhändige Wiederholung des sich in Privatbesitz befindenden Originals. Eine eindrucksvolle Farbstudie von 1800 befindet sich in der Berliner Gemäldegalerie. Eine Pinselzeichnung mit der Widmung »Zum Andencken empfiehlt sich Anton Graff. Dreßden den 24. Sept: 1796« wird im Berliner Kupferstichkabinett bewahrt. | Birgit Verwiebe