Das Frühjahr 1939 konnte Beckmann in Frankreich verbringen, da dem inzwischen nach Amsterdam emigrierten Maler eine „carte d’identité ausgestellt worden war. An der Mittelmeerküste entstanden einige sonnendurchflutete, strahlend helle Landschaften wie „Cap Martin“ (Staatsgalerie Stuttgart) oder die hier vorliegende „Meerlandschaft“. Die Komposition des Gemäldes ist bemerkenswert, denn Beckmann hat einen ruhigen, klassischen Aufbau – der waagerechte Horizont auf der Linie des Goldenen Schnitts und das alte Schloss auf dessen vertikaler Linie – mit einem dynamischen Tiefenzug zusammengeführt, der freilich geblockt wird. Die vordere felsige Küstenlinie türmt sich nach links auf, entwickelt sich aber nicht in den Raum. Spitze Agavenblätter im Vordergrund verstellen aggressiv den Zugang zum Meer. Der ausschnitthaft abgeschnittene Baum links begleitet das, und sein Ast schwingt tentakelhaft in das Zentrum des Bildes, wodurch die gerade Horizontlinie verdeckt wird. Fast schmerzhaft von der spitzen Agavenblüte berührt schnellt er zum grün-weiß bedeckten Himmel hoch. Beckmann knüpfte hier in der Gattung der Landschaftsmalerei gestalterisch an seine Neukonzeption des Figurenbildes um 1932/1933 (vgl. etwa „Abfahrt“, 1932–1935; The Museum of Modern Art, New York) an, wobei der strenge, nahezu konstruktiv scheinende Bildaufbau mit latent gewalttätigen Formfindungen unter Spannung gesetzt und attackiert wird, ohne zu zerbersten. | Olaf Peters
