Rudolf Dammeier läßt sich keiner Stilrichtung mehr zuordnen. Der ehemalige Schüler von Carl Gussow an der Berliner Kunstakademie malte von 1881 bis 1892 fast jeden Sommer lang mit Freunden, unter anderem Franz Skarbina und Ernst Henseler, in Meran und Tirol. Während dieser Jahre, um 1890, hellte sich seine Palette auf, wie die vieler anderer deutscher Maler. Bilder wie »Der Blinde« stehen in der Malweise dem Impressionismus nahe. Das Motiv der Darstellung gehört eigentlich noch dem Naturalismus an, der hier aber an sozialer Schärfe verloren und sich der Genremalerei angenähert hat. Derlei Bilder fanden sich nun häufig auf der Großen Berliner Kunstausstellung und wurden von offizieller Seite gern erworben. 1908 war Dammeier sogar mit einer umfangreichen Retrospektive von 24 Bildern auf der Großen Berliner Kunstausstellung vertreten. Allein fünf Gemälde Rudolf Dammeiers wurden zwischen 1901 und 1917 aus offiziellen Kunstausstellungen für die Nationalgalerie angekauft, gelangten aber nicht in die ständige Ausstellung und damit auch nicht in den Galeriekatalog.
Soziale Themen, sentimentalisiert und erzählfreudig ausgemalt, waren um 1900 salonfähig. Die Darstellung dieser ländlichen Szene bezieht ihre anekdotenhafte Spannung aus dem Gegenüber der städtischen, wohlhabenden Gruppe von Ausflüglern zu dem blinden Bettler mit dem zerlumpten Kinde hinter sich. Auch Detailmotive – Sommerhut/Bettelhut, Spazierstock/Krückstock, reiches/armes Kind – sind sinnfällig miteinander konfrontiert. Die eigentliche soziale Brisanz erscheint dagegen zweitrangig zu sein. | Angelika Wesenberg