"Komposition“ besteht aus einer dünnen Malschicht auf einer Holzplatte. Vom „Monat Mai“ kündet die kyrillische Schrift. Die übereinandergelagert wirkenden monochromen Formen scheinen die geometrischen Formen der Malerei Vladimir Tatlins (1885-1953) von 1910 bis 1915 mit den räumlichen Konterreliefs von circa 1914 bis 1917 zu verbinden. Damit verkörpert das Gemälde einen nachvollziehbaren Übergang vom zwei- zum dreidimensionalen Raum. Ähnlich geometrisch gestaltet ist Tatlins Bild „Staro-Basmannaja“ (1913–1919; Tretjakov-Galerie, Moskau). Trotz des eng verwandt anmutenden Bildaufbaus unterscheidet es sich deutlich von der „Komposition“: Der Tiefeneindruck lässt es optisch fast zum Relief werden. In „Komposition“ hingegen, das erst seit 1977 nachweislich als Werk Tatlins ausgestellt und verkauft wurde, deutet nichts auf eine Tiefe jenseits der Bildebene hin. Die Nationalgalerie schreibt „Komposition“ nicht mehr Tatlin zu: aufgrund einer detaillierten kunsthistorischen Analyse des Werkes und der lückenhaften Provenienzangaben, die sämtlich die Nürnberger Galerie R lieferte (Bildakte in der Neuen Nationalgalerie) – sie hatte das Gemälde 1977 angeboten. Es soll aus dem Nachlass der 1963 verstorbenen, mit Tatlin befreundeten Leningrader Malerin Sofia Dymschiz-Tolstaja stammen. Weitere Hinweise auf einen Nachlass der Künstlerin sind aber nicht bekannt. Über wen das Werk nach deren Tod in eine nicht identifizierte tschechoslowakische Privatsammlung gelangt sein soll, wo es also von 1963 bis 1977 tatsächlich war, ist ebenfalls ungewiss. Neuere kunsttechnologische Analysen konnten allerdings keinen Nachweis über den Zeitpunkt der Entstehung erbringen. | Emily Joyce Evans