Die Figur des heiligen Pankratius steht in ihrem ursprünglich zugehörigen Schrein. Mit heute verlorenen Flügeln konnte er so geschlossen werden, dass nur noch das untere Brett der Bodenplatte und die obere Leiste mit Zinnenkranz zu sehen waren.
Die an die Schreinrückwand gelehnte Standfigur fügt sich in ihren Proportionen und wenig ausgreifenden Gesten ausgezeichnet in die umgebende Rahmenarchitektur. Der Heilige trägt ein bodenlanges und hoch gegürtetes Gewand mit breit abgesetztem Saum sowie einen stoffreichen Mantel, dessen über die rechte Schulter nach vorn fallendes Ende gerafft und unter dem linken Unterarm geklemmt ist Voluminöses, stark gewelltes und halblanges Haar rahmt ein ebenmäßiges, jugendliches Gesicht, dem schmale Lippen, eine längliche Nase und relativ hoch liegende Augen einen ruhigen und ernsten Ausdruck verleihen. Die Gesichtszüge sind sorgfältig ausgeführt; Kinn, Wangenknochen und Brauen zeichnen sich deutlich unter der Haut ab.
Dass es sich bei dem wenig spezifisch dargestellten Jüngling sehr wahrscheinlich um Pankratius handelt, legt zunächst lediglich das für das späte Mittelalter bezeugte Patrozinium der Herkunftskirche nahe. Doch stimmt die Darstellung des jungen, bartlosen und zivil gekleideten Manns ohne Kopfbedeckung und vermutlich mit Schwert und Palmzweig mit der im 13. Jahrhundert geläufigen Ikonografie des römischen Heiligen überein. Dessen Verehrung war in Deutschland um 1300 noch nicht so allgemein verbreitet wie im 15. Jahrhundert und konzentrierte sich zunächst auf den südostdeutschen Raum, Niedersachsen und Westfalen.
Der laut Legende als Sohn eines reichen römischen Bürgers jung zum Christentum übergetretene und im Alter von 14 Jahren deshalb enthauptete Pankratius war in erster Linie ein Patron des Adels. Nur so ist seine spätere Darstellung als Ritter zu erklären.
Die Entstehung der Schreinfigur steht im engen Zusammenhang mit einer bemerkenswerten Erweiterung der Kirche in Steinkirchen bei Lübben. Im späten 13. oder frühen 14. Jahrhundert wurde der vor 1250 errichtete Saalbau mit eingezogenem Chor, der sich nur durch das Baumaterial (Backstein) von übrigen Dorfkirchen der Region unterschied, erheblich erweitert. Um 1500, als man den Kult belebte oder wiederbelebte, nahm man auch die relativ aufwendige Neufassung von Schrein und Figur vor. Zugleich fanden umfangreiche Instandsetzungsarbeiten an Kirche und Ausstattung statt, denen die Einnahmen durch die Pilger zugute kommen sollten.
(Auszug aus: Tobias Kunz, Bildwerke nördlich der Alpen. 1050 bis 1380. Kritischer Bestandskatalog der Berliner Skulpturensammlung, Petersberg, Michael Imhof Verlag 2014)
Entstehungsort stilistisch: Sachsen
Historischer Standort: Steinkirchen bei Lübben