Schreckliche Anspannung des Körpers, der Leib drängt nach vorn, die Beine wollen sich aus der Fesselung befreien. Das Pendant, der andere Schacher (ebenfalls in Berlin, KdZ 4450), ist bereits schlaff in sich zusammengesunken, seine Haare fallen nach vorn und verdecken das Gesicht. Beide Zeichnungen sind Ausdrucksstudien, aus der Vorstellung entstanden und ohne Interesse an der anatomischen Richtigkeit, die man von einem Modellakt fordern würde. Wegen ihrer ungewöhnlichen Expressivität wurden die Zeichnungen ehemals M. Grünewald zugeschrieben, bis Friedländer richtig Cranach als ihren Schöpfer erkannte: die Verbindung zu dessen Wiener Werken, Gemälden wie Holzschnitten, die zwischen 1502 und 1507 entstanden sind, ist zwingend. In diesen frühen Jahren seines Schaffens formte Cranach ausdrucksgeladene Landschaften, die nicht der Wirklichkeit nachgebildet sind, sondern allein eine Stimmung einfangen wollen und daher unbedenklich zu Übersteigerungen greifen. Ebendies war auch die Intention der sog. „Donauschul“-Malerei, deren wichtigster Vorläufer der junge Cranach gewesen ist. Es gibt verschiedene Indizien, eine persönliche Berührung zwischen Altdorfer, dem Hauptmeister der Donauschule, und Lucas Cranach in Wien anzunehmen.
Text: Hans Mielke in: Das Berliner Kupferstichkabinett. Ein Handbuch zur Sammlung, hg. von Alexander Dückers, 2. Auflage, Berlin 1994, S. 124f., Kat. III.48 (mit weiterer Literatur)