Die „Dorfstraße“ von Michaelson wurde im Oktober 1917 in der 31. Ausstellung der Berliner Secession gezeigt und dort durch den preußischen Staat für die Nationalgalerie erworben. Der Sohn jüdischer Kaufleute hatte bis 1909 Malerei studiert und danach Einflüsse von Edvard Munch und den Brücke-Künstlern verarbeitet. Im April 1914 waren seine Werke in der Berliner Galerie Paul Cassirer zu sehen, bevor Michaelson als Soldat im Ersten Weltkrieg in Russland und Frankreich eingesetzt wurde. Seine dort entstandenen Bilder zeigen den Alltag hinter der Front, etwa Armierungsbataillone, die Straßen zu befestigen hatten. Die in der „Dorfstraße“ mit Schaufel, Spitzhacke und Schubkarre ausgerüsteten Männer in ihren feldgrauen Uniformen gehören zu einer solchen Einheit – sie soll an einem Ortsausgang die Passierbarkeit für Militärtransporte sicherstellen. Der entspannten Situation in der Etappe entsprechen die Haltungen der Männer und ihre weichen Konturlinien. Kontrastierend ragen Wegweiser, Telegrafenmasten und Schornsteine in den Himmel. Bei dem Dorf könnte es sich um das nordfranzösische Lesdins handeln, in dem Michaelson im Februar 1917 eine ähnliche Situation zeichnerisch festgehalten hat („Lesdins“; Privatbesitz). Während die Skizzenblätter präzise Ortsangaben tragen, ist das Gemälde allgemein gehalten. Die Schilder werden von hinten gezeigt und sind nicht lesbar, sie wirken fast wie Grabkreuze über einem Dorf aus Pflastersteinen. Kurz nach dem Kriegsbeginn 1939 emigrierte Michaelson nach Ecuador. | Dieter Scholz