Das Ostensorium besteht aus zwei zu einer scheibenförmigen Kapsel montierten Goldglas-Medaillons mit Darstellungen der Maria mit dem Kind und der Kreuzigung Christi. Das Bild der Madonna wird von rot beschriftetem Pergament mit dem Verzeichnis der im Schaugefäß enthaltenen Reliquien umrahmt. Unmittelbar im Anschluss an ihre Nennung sind die jeweiligen Heiltümer selbst durch kleine Ausschnitte im Pergament sichtbar.
Unterhalb der kreuzförmig angeordneten Partikel vom Heiligen Kreuz im Scheitel des Medaillons erscheinen auf der linken Seite weitere Passionsreliquien sowie Reliquien von Aposteln, Evangelisten und männlichen Märtyrern. Rechts oben befinden sich Reliquien von Maria und von weiblichen Heiligen, darunter Gewebefragmente vom Schleier der Muttergottes und Fasern vom Gewand und Schleier der hl. Klara (1193/94–1253), der Begründerin des Zweiten Ordens der Franziskaner. Reliquien männlicher Heiliger die im Franziskanerorden eine besondere Verehrung genossen, befinden sich im rechten unteren Viertel der Scheibe. Vom hl. Franziskus (1181/82–1226) selbst sind Haare und Partikel seines Gewandes enthalten. In Auswahl und Anordnung der Reliquien entspricht das Berliner Ostensorium einer Reihe vergleichbarer, offenbar für Franziskaner- oder Klarissen-Konvente bestimmter Reliquiare mit Goldglas-Darstellungen, von denen einige als Werk des deutschen Fraters Petrus Theotonicus (Profess 1288, in Assisi nachweisbar bis 1331) bezeichnet sind. Ob dieser ausführender Künstler oder konzipierender Geistlicher war, ist in der Forschung umstritten.
Die im Reliquiar enthaltenen Heiltümer verweisen nicht nur auf das geistliche Umfeld der Auftraggeber, sie sind zugleich Indizien für die Entstehungszeit des Werkes. Der hl. Ludwig von Toulouse (1274–1297), ebenfalls ein Franziskaner, wurde am 13. April 1317 kanonisiert und die Schleierreliquie der Maria gelangte nach dem 11. März 1320 in den Besitz des Konventes von S. Francesco in Assisi, was die Annahme der Herstellung des Ostensoriums 1320 oder bald danach begründet.
Die Kreuzigungsszene zeigt einen anderen, durch weicher modellierende Linien geprägten, Stil der Zeichnung als die Maria mit dem Kind. Es wird daher wohl zu Recht angenommen, dass sie von zwei verschiedenen Künstlern stammen. Die Feststellung von Irene Hueck, wonach die Kreuzigungsdarstellung als Pinselzeichnung ausgeführt sei, kann nach mikroskopischer Untersuchung nicht bestätigt werden. Beide Goldgläser des Berliner Ostensoriums wurden in der später durch Cennino Cennini (um 1370–um 1440) beschriebenen Technik ausgeführt: Zunächst wurde auf die Rückseite des Glases mit Eiweiß eine Goldfolie geklebt, in welche die Zeichnung dann mit einer Nadel eingeritzt und schließlich durch Auftrag eines Farblacks hinterfangen wurde. LL
Entstehungsort stilistisch: Umbrien (Assisi?)