In Stukko skulptierte Haller die Pariser Malerin Marie Laurencin (1883–1956). Sie hatte am 22. Juni 1914 den Schwager des Künstlers, den in Paris lebenden Maler Otto von Wätjen, geheiratet. 1919 besuchte das Paar Haller in Zürich, wo er den Terrakottakopf von Laurencin anfertigte. Dieser Kopf wird von einer kurzen, charakteristischen Lockenpracht bedeckt, die der Bildhauer mit seinen Fingern in das weiche Material hineinmodelliert hat, sodass sie besonders lebendig erscheint. Die Art der Haargestaltung und der rauen Oberflächenbehandlung ist typisch für Haller. In zahlreichen, vornehmlich weiblichen Porträtköpfen hat er diesen Stil ausgeführt. Hier umspielt den Mund ein selbstbewusstes Lächeln, der Blick des aufrecht gehaltenen zarten Kopfes ist fest nach vorn gerichtet. Laurencin war eine unabhängige Frau und erfolgreiche Künstlerin und damit durchaus eine Ausnahme. Sie zeigte ihre Werke häufig in namhaften Galerien, erhielt den Auftrag zur Ausgestaltung des Stücks „Les Biches“ (Die Hirschkühe, 1924) für die „Ballets Russes“ und stand auch sonst im Mittelpunkt der Pariser Avantgarde. Guillaume Apollinaire stellte sie in seinem Buch „Les Peintres cubistes. Méditations esthétiques“ (1913) in eine Reihe mit Pablo Picasso, Georges Braque und Jean Metzinger. Ihr stets ganz eigener Stil drückte sich in schlangenlinienförmigen, zart pastellfarbigen, meist weiblichen Figuren aus. Apollinaire beschrieb ihn als typisch „weiblich“, wahrscheinlich weil die Malerei jener Zeit nicht viele Protagonistinnen hatte und nach einem Schema gesucht wurde, unter dem sich Laurencins eigentümliche Bilder fassen ließen. | Anja Pawel