Querformat. Der Steuereinnehmer und der Schuster (Der Reiche und der Arme)
Ein Steuereinnehmer lebte im vollen Überfluss,
ihm fehlte keine Freude, kein Genuss.
Nur einen Kummer, einen Mangel litt er:
Er kannte keinen Schlummer, keinen Schlaf.
Und wenn er spät erst gegen Morgen einschlief,
dann störte ihn des Nachbarn fröhliches Singen.
Vom frühen Morgen bis zum späten Abend sang er.
Und endlich hielt der Reiche es nicht mehr aus
und rief den armen Nachbarn in sein Haus.
Der kam. "Sei mir gegrüßt, mein Freund!"
- "Auch ich grüß untertänigst, edler Herr."
- "Nun Bruder gehts euch gut? Ihr singt stets mit frohem Mut."
- "Wie´s geht? nicht schlecht. Mir ist´s wie Gott es schicket recht.
An Arbeit fehlt es nicht,
zum Leben reicht es grad,
und meine Frau ist jung und lieb,
und mit ´ner guten Frau
lässt sich in guten und in schlechten Tagen
die Arbeit wie die Armut gut ertragen."
- "So seid ihr arm und singt doch früh und spät?"
- "Gewiss, so dank ich Gott für alles, was er gibt."
- "Und wär´s nicht besser noch, ihr hättet viel?
Ihr hättet Geld und wäret reich wie wir?"
- !Warum nicht gar? Der Mensch ist so geschaffen, er möchte gern recht viel."
- "Nun denn, so nimm dies Säckchen hier.
Es ist ganz voll mit Geld,
ich schenk es dir von Herzen. - Der Arme nahm das Geld. Doch ach!
Nun schreckt ihn jedes Flüstern, jeder Krach.
Nun kam die Angst, man könnt das Geld ihm stehlen,
er mußte es verstecken und verhehlen,
nie fand er Schlaf, nie sang er mehr ein Lied,
er ward verdrießlich, schlaff und müd,
im Keller wollte er das Geld vergraben.
dann aber sprach er: "Nein, ich will es nicht mehr haben!"
Er nahm es, brachte es zurück und fand erst dann zu seinem alten Glück.