Wie Vogeler rückblickend schrieb, eröffnete sich ihm durch seinen ersten Aufenthalt in der Sowjetunion eine völlig unbekannte Welt, die nach neuen künstlerischen Ausdrucksmitteln verlangte, um die politische, wirtschaftliche und kulturelle Arbeit des Landes zu erfassen (H. Vogeler: Werden. Erinnerungen, 1989, S. 475). Er entwickelte deshalb die von ihm so benannten Komplexbilder, vielszenige, prismatische Simultankompositionen, in denen er das Leben in der Sowjetunion idealisiert darstellte. Eines der ersten von ihnen ist das Gemälde „Kulturarbeit der Studenten im Sommer“. Es entstand während Vogelers Aufenthalt mit seinen Studenten auf einem Universitätsgut im Seengebiet der Waldaihöhen. Hell leuchtet darauf die Sonne des Sozialismus, in deren Zentrum Hammer und Sichel sowie das Bild eines pflügenden Bauern stehen. Von dem Gestirn aus entfaltet sich spiralförmig eine Collage aus Einzelbildern, die in bunten Farben vom Arbeitseinsatz der auf dem Gut lebenden Studenten erzählen: Sonntags zogen sie zu Fuß und per Boot in die Dörfer, um den Bauern die kommunistischen Lehren nahezubringen, sie im Lesen zu schulen oder Märsche zu organisieren. Gleich einem Zusammenschnitt von Filmszenen vereint die Darstellung drei Zeitebenen: Oben sind die Bauern noch Analphabeten, werden jedoch im Lesen und Schreiben unterwiesen. In der Bildmitte dominieren Aufklärung und Kollektivarbeit durch die Studenten, während unten eine bessere Zukunft mit technisierten Kooperativen dargestellt ist, auf die das russische Wort für „Genossenschaft“ auf dem Banner links unten explizit hinweist. | Maike Steinkamp
