Ruhig und streng zugleich blickt die sechzig bis siebzig Jahre alte Frau konzentriert nach innen. Die Büste zeigt die Mutter des Künstlers, Frieda Albiker, geborene Brunner (Lebensdaten unbekannt). Sie stammte aus einer Apothekerfamilie und betrieb gemeinsam mit Albikers Vater, Karl Albiker, seit etwa 1887 die Marienapotheke in Karlsruhe. Der leicht nach vorn geneigte Kopf mit geflochtenem Haarknoten im Nacken ist durch eine Halskrause unter dem Kinn abgeschlossen, was den Ausdruck milder Strenge unterstreicht. Wie bei seinen anderen Porträtbüsten hat der Künstler hier menschliche und bildhauerische Einfühlung, Aussage und Form miteinander verbunden. Über Albikers Frauenbildnisse der frühen 1920er-Jahre schrieb Karl Scheffler, dass sie „mehr Unmittelbarkeit als seine Jugendarbeiten“ hätten, dass er hier „mehr im echten Wortsinne Impressionist“ sei und „weniger archaisch-klassizistisch“ (Karl Scheffler, Die Frühjahrsausstellung der Akademie, in: Kunst und Künstler, 23. Jg. [1924/1925], S. 284). Als diese Terrakottabüste entstand, befand sich der 44-jährige Albiker auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens und war gerade Mitglied der Akademie der Künste geworden. 1919 waren ihm Bildhauerei-Professuren von den Akademien in Dresden und Karlsruhe angeboten worden – er entschied sich für Dresden. Die dortige „Albiker-Schule“ und die nach Wilhelm Gerstel benannte in Berlin waren in den 1920er-Jahren die bekanntesten Bildhauerschulen in Deutschland. Albikers Lehre stand für eine an Auguste Rodin orientierte, moderne Richtung der Bildhauerei, die „weder dekorativ noch klassizistisch idealisierend“ war (Sigrid Walther, Der Bildhauer Karl Albiker und Dresden in der Zeit von 1919 bis 1947, in: Karl Albiker. Figur und Raum, Ausst.-Kat., Ettlingen, 2013, S. 52). | Uta Caspary
